Eine Oper aus dem 17. Jahrhundert ist wiederzuentdecken: Francesco Cavallis überaus bühnenwirksamer „Eliogabalo“, 1667 kurz vor der Premiere abgesetzt, liegt nun in einer kritischen Edition vor.
Von allen Opern, die uns aus dem 17. Jahrhundert überliefert sind, sticht Francesco Cavallis Eliogabalo heraus, da sie nur als Partitur, nicht jedoch als Libretto, erhalten ist. Dies resultiert aus den problematischen Umständen ihrer Entstehung im Venedig der 1660er-Jahre. Die Oper war ursprünglich für die Karnevalsaison 1667/68 am Teatro Grimani geplant, aber sie wurde kurz vor der Premiere abgesagt. Der Librettist Aurelio Aureli war gezwungen, seinen gesamten Text über das Leben des wollüstigen und korrupten römischen Kaisers Heliogabalus umzuschreiben. Ein anderer Komponist, der junge Giovanni Antonio Boretti, ersetzte den viel erfahreneren Cavalli, der zu diesem Zeitpunkt 65 Jahre alt war und bereits eine erstaunliche Opernkarriere hinter sich hatte. Nach den ersten Aufführungen in der Serenissima, wurde Borettis Oper, die ebenfalls Eliogabalo überschrieben war, neun Jahre lang in Italien gespielt. Cavallis Eliogabalo hingegen landete in der Schreibtischschublade des Komponisten.
Cavalli selbst muss jedoch damit gerechnet haben, dass Eliogabalo früher oder später auf die Bühne käme (was erst 1999 in Crema, seinem Geburtsort, der Fall war). Zum Ende seines Lebens bezog Cavalli Eliogabalo in die Reihe seiner Opern ein, die er an zukünftige Generationen weitergeben wollte und die nun eine wertvolle Manuskriptsammlung der Biblioteca Marciana in Venedig darstellen. Diese Kopie von Eliogabalo – kein Autograph, aber Cavallis Korrekturen enthaltend – ist die Grundlage für die Edition, die bei Bärenreiter erscheinen wird. Da die Oper nicht aufgeführt wurde, ist auch kein Libretto veröffentlicht worden, während alle Libretti, die Aufführungen von Borettis Oper bezeugen, neben der Partitur überlebt haben.
Keines der überlieferten Dokumente gibt Antwort auf die interessante Frage, warum Cavallis Oper zurückgezogen wurde. Kürzlich wurde die Hypothese aufgestellt, dass sein musikalischer Stil als altmodisch angesehen wurde. Tatsächlich ist uns bekannt, dass fünf Jahre später eine andere Oper Cavallis abgesetzt wurde, weil sie „einen Mangel an lebhaften Arien“ aufwies. Sein Eliogabalo ist also möglicherweise abgesagt worden, weil er zu viele Rezitative und zu wenige einprägsame Melodien enthielt. Heute können wir jedoch die Kraft von Cavallis Rezitativen schätzen: So zeigen zum Beispiel die Duette von Flavia und Eritea einen der modernsten Aspekte in Cavallis Opern: Die textliche und musikalische Darstellung der verheerenden Konsequenzen sexueller Belästigung in einem politisch dominierten Umfeld.
Doch wieder ist es der Vergleich der beiden Werke – Cavallis und Borettis – der sowohl Indizien für das Scheitern von Cavallis Oper enthüllt als auch seine dramatische Stärke hervorhebt. Beide Handlungen werden von zwei Themen dominiert. Zum einen jagt der wollüstige Kaiser zwanghaft den Frauen nach und wird so, anstatt das Römische Reich zu regieren, zum Symbol für das Laster. Zum anderen repräsentiert in beiden Opern Alessandro, der Cousin und Nachfolger Eliogabalos, den tugendhaften Gegenpart zum Kaiser: Er ist männlich, gewissenhaft in seinen Aufgaben und seiner Geliebten treu. Auffälliger als die Parallelen sind allerdings die Unterschiede. In Cavallis Finale wird der wollüstige, unmännliche Herrscher brutal ermordet (hinter der Bühne), und Alessandro wird neuer Kaiser. Im Gegensatz dazu überlebt Eliogabalo in Borettis Oper die Revolte, bereut seine schlechten Taten und führt seine Herrschaft mit Alessandros Hilfe fort. Indem Borettis Oper die Reue des Herrschers zeigt (anstatt seine Ermordung), entspricht sie einer der Hauptlehren des katholischen Denkens seiner Zeit.
Cavallis Oper war also mit ihrem brutalen Finale zu seiner Zeit nicht nur im Sinne des musikalischen Stils problematisch, sondern auch weil die Handlung, insbesondere ihr Ende, nicht mit der vorherrschenden politischen Ideologie übereinstimmte. Tatsächlich kann man sagen, dass die Oper ihrer Zeit voraus war. Heute kann Eliogabalo – der Don Giovanni des 17. Jahrhunderts – gerade wegen seiner kraftvollen Art, mit der er dramatisch und musikalisch das immer wiederkehrende Thema des Verhältnisses zwischen Sexualität und Macht behandelt, Erfolge in Opernhäusern verzeichnen.
Mauro Calcagno
(Übersetzung: Maja Kamprath)
aus [t]akte 2/2010