Obwohl es nur zwei relevante Quellen gibt, wiesen frühere Ausgaben von Beethovens G-Dur-Klavierkonzert viele Ungereimtheiten auf. In seiner Neuausgabe hat sie Jonathan Del Mar nun beseitigt und bietet Praxis wie Wissenschaft einen verlässlichen Notentext.
Aus späteren Lebensjahren Beethovens haben sich mehr Handschriften erhalten als aus früheren. Dies ist auch nicht überraschend, denn je berühmter der Komponist wurde, desto weniger Veranlassung gab es, seine Autographe zu vernichten, sobald ein Werk gedruckt war. Dennoch stellen die Klavierkonzerte eine Ausnahme dar: Die Autographe der beiden ersten Konzerte überlebten, anders als Symphonien, Streichquartette oder Sonaten aus den entsprechenden Jahren. Ebenso überraschend ist der Verbleib der Handschrift des 4. Klavierkonzerts unbekannt.
Jede neue Edition des G-Dur-Konzerts muss deshalb auf zwei Quellen fußen, die Beethoven revidiert hatte, die aber dennoch in gewissem Sinne unbefriedigend sind. Zum Autograph gibt es nun einmal keinen adäquaten Ersatz. Wir haben lediglich eine Kopistenabschrift der Partitur, die im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien aufbewahrt wird, und den Erstdruck von 1808, der einige kleinere Korrekturen Beethovens aufweist, die zeitlich nach der Abschrift liegen. Angesichts dieser Lage war es überraschend zu sehen, wie viele Details in modernen Ausgaben (auch „Urtext“-Editionen) überlebt haben, die sich nicht aus den beiden Quellen herleiten lassen. Als die Partitur 1861 veröffentlicht wurde, enthielt sie Hunderte von zusätzlichen Veränderungen, die in nachfolgenden Ausgaben nur zum Teil wieder ausgemerzt wurden. Es war sehr befriedigend, diese letzte Staubschicht endlich zu entfernen und zum Stand der beiden Quellen zurückzukehren.
Bei der prachtvollen Rückkehr zum Anfangsthema im ersten Satz, wohin die beiden hohen Hörner so glanzvoll führen, beginnt das Solo-Klavier unmittelbar auf dem ersten Schlag mit einem donnernden G in drei Oktaven, um dann wieder heldenhaft zum Hauptthema zu springen. Dieses G fehlte bisher immer im Solopart, weil in der genannten Abschrift das Wort „Solo“ ein wenig zu weit rechts geschrieben war. So konnte man annehmen, dass diese Gs nur zu den vorangehenden Stichnoten gehörten. Wir haben eine Menge Material, das wir heranziehen können, um beweisen zu können, dass diese Noten zum Klavierpart gehören, dass sie großartig das Drama seines Eintritts verstärken und darüber hinaus das wunderschöne Echo beim Aufwärtssprung im Streichereinsatz fünf Takte später anbahnen.
Im langsamen Satz war jede moderne Edition an der Stelle fehlerhaft, wo das Klavier seinen zärtlichen „una corda“-Schleier wegzieht und von da an zuversichtlich „tre corde“ spricht. Weder dieser Effekt noch das Crescendo, das ihn begleitet, darf vor dem dritten Triller, dem auf C, einsetzen.
Im Rondo gibt es unmittelbar vor dem Seitenthema über vier Takte eine unerwartete Note, die bisher immer geändert wurde, die jedoch enge Entsprechungen in Werken von Haydn und Mozart findet (die ebenfalls von Herausgebern oft geändert wurden). Ich habe wiederhergestellt, was Beethoven geschrieben hat, da ich überzeugt bin, dass er das Doppelkreuz, wenn er es hätte haben wollen, nicht viermal weggelassen hätte
Jonathan Del Mar
(Übersetzung: Johannes Mundry)
(aus [t]akte 2/2014)