Sie ist Weltmusik. Smetanas Orchesterstück Die Moldau aus dem Zyklus Mein Vaterland wird von Orchestern auf der ganzen Welt gespielt und vom Publikum geliebt. Nun gibt es das beliebte Werk in einer zuverlässigen Ausgabe auf dem neuesten Stand.
Die Moldau ist Smetanas bekanntestes Orchesterstück. Es wird heute häufiger gespielt als die fünf anderen Werke des Zyklus Má vlast (Mein Vaterland). Die Tatsache, dass der Komponist es 1874, unmittelbar nach dem schrecklichen Schlag seiner Ertaubung schrieb, zeigt, dass er genau diese Komposition unbedingt im Sinn hatte; er hatte das Werk, zusammen mit Vyšehrad, bereits seit einiger Zeit geplant.
Mit dem Gedanken, einen Orchesterzyklus zur Feier des Vaterlands zu schreiben, befasste Smetana sich schon in der ersten Hälfte der 70er Jahre, als er seine festliche Oper Libussa mit einem Sujet aus der tschechischen Mythologie beendete. Noch Mitte des Jahres 1873 hatte der Zyklus keineswegs klare Konturen, und die einzelnen Sujets kristallisierten sich erst allmählich in der Vorstellung des Komponisten heraus, mit Ausnahme der ersten beiden Stücke, Vyšehrad und Die Moldau, die von Beginn an einen festen Platz hatten. Überdies wird aus kleinen, 1983 wiederentdeckten Skizzen Smetanas von 1874–1875 ersichtlich, dass beide sinfonische Dichtungen nahezu parallel entstanden. Von Ende September bis zum 18. November 1874 komponierte er Vyšehrad, und schon am 20. November begann er, an der Moldau zu arbeiten, die er nach nur 19 Tagen beendete. Im folgenden Jahr entstanden noch zwei weitere Dichtungen, Šárka und Aus Böhmens Hain und Flur, und für alle vier Stücke erarbeitete er bald darauf einen vierhändigen Klavierauszug. Er kehrte dann erst in den Jahren 1878–1879 zum Zyklus zurück, als er ihn mit Tábor und Blaník vollendete.
Der breiteren Öffentlichkeit war die Musik der Moldau sowohl aus der vierhändigen Klavierfassung als auch von Konzertpodien schon vor ihrer Drucklegung bekannt. Die erfolgreiche Premiere ereignete sich am
4. April 1875 auf dem Žofín in Prag; außerhalb Österreich-Ungarns wurde sie dank des gebürtigen Pragers Hans Sitt 1878 in Chemnitz erstmals zusammen mit Vyšehrad aufgeführt. Die Druckausgabe der Moldau erschien erst 1879, als Smetana einen Vertrag mit dem Verleger Fr. A. Urbánek schloss. Auch erhielt der Zyklus erst zu diesem Zeitpunkt den endgültigen Titel Mein Vaterland. Die Moldau erschien zusammen mit Vyšehrad im Dezember 1879 zunächst in der vierhändigen Fassung des Komponisten, in der ersten Hälfte des Jahres 1880 erschienen die Partitur und die Orchesterstimmen, die Smetana noch selbst korrigierte.
Seitdem wurde das Stück vielfach neu herausgegeben, zuletzt 1966 von Artia, Prag. Das Ziel der neuen Edition bei Bärenreiter ist es, einen genauen Blick auf Smetanas sehr detaillierte Einzeichnungen zu werfen und Fehler zu beseitigen, die sich in frühere Partituren eingeschlichen haben. Die Edition basiert auf dem autographen Manuskript und nimmt Bezug auf die Urbánek-Ausgabe von 1880 und die von Smetana selbst hergestellte vierhändige Fassung. Smetanas autographe Partitur, die sich im Smetana-Museum in Prag befindet, ist außerordentlich klar, sie wurde mit sorgfältiger Aufmerksamkeit für Nuancen jeglicher Art in violetter Tinte geschrieben. Der Komponist war sehr präzise bei der Verteilung verschiedener Bezeichnungen für die Akzentuierung – staccato, tenuto, marcato – manchmal kombinierte er mehr als eine von ihnen. Die Phrasierung und der Ausdruck jedes Takts sind mit großer Sorgfalt eingetragen. Die gedruckte Partitur von 1880 enthält einige Fehler, die in der neuen Ausgabe korrigiert wurden. Sie bietet eine verlässliche Quelle für Dirigenten und Orchester, die Smetanas Werk in einer korrekten und zuverlässigen Fassung präsentiert.
Hugh Macdonald / Olga Mojžíšová
(Übersetzung: Kerstin Lücker)
(aus [t]akte 1/2014)