Ein Konzert? Die Form des Solistenkonzerts galt lange als obsolet, Komponisten mieden die Fortsetzung der Tradition. Philipp Maintz gehört nicht dazu. Warum er Konzerte schreibt, sagt er im Interview.
Das „Konzert“ galt zeitweise als „Un-Gattung“ – vor allem in der Nachkriegsszene der Neuen Musik hierzulande, da es als Relikt vergangener, überwundener Geschichtsepochen beurteilt wurde. Vor allem der konzertierende Solist oder gar seine komponierte Inszenierung als orchesterbegleiteter Virtuose galten als höchst suspekt. Trotzdem entstanden auch seinerzeit konzertante Werke, in Umgehung des Begriffs „Konzert“ oftmals als „Musik für …“ bezeichnet. Seit geraumer Zeit tendiert jedoch die Pendelbewegung wieder in Richtung des Begriffs „Konzert“, wie die Programme diverser Festivals zeigen.
[t]akte: Welche Ursachen haben Ihrer Meinung nach diesen wechselhaften Umgang bewirkt? Was motiviert Sie zum Schreiben von Konzerten?
Philipp Maintz: Ich erinnere mich an Programmheftkommentare (ich war so 15, 16 Jahre alt), in denen die Rede davon war, dass Stücke eine „traditionelle“ Konzertsituation evozieren würden – und dann stand da gern diese Formulierung, dass, wenn das Stück beginne, „doch alles anders sei“. Das hatte ich nie verstanden. Ich erinnere mich auch an Unterrichtsstunden bei Michael Reudenbach (da war ich 17 und wollte mal wieder ein Klavierkonzert schreiben), der geschimpft hat, dass man doch heute keine Konzerte mehr schreiben könne, es sei gesellschaftlich nicht verantwortbar, dass da 80 Mann Orchester für einen Solisten „musikalisch den Boden aufwischten“ …
Für mich ist das aus einer gewissen historischen Perspektive nachvollziehbar (wobei ja die 50er, 60er und auch 70er Jahre lang vorbei sind, ästhetisch zumindest in Deutschland aber bis heute als Bezugsgröße perpetuiert werden). Aber mich hat – gerade im Falle des Klaviers – die Virtuosität eines Solisten, die Haptik und bei manchen Pianisten die physische Schönheit und Eleganz ihres Spiels inspiriert. Irgendwie freue ich mich immer, wenn ein Flügel auf die Bühne gerollt und vielversprechend aufgeklappt wird. Ich möchte dann kein Klavierkonzert vorgesetzt bekommen, bei dem „alles anders“ ist und der Solist aus lauter politischer Korrektheit nicht spielen darf. In den letzten Jahren habe ich eine Reihe von hervorragenden Pianisten kennengelernt, die mir allesamt große Lust gemacht haben, Klaviermusik zu schreiben. Also: ein Konzert mit pianistischen Stunts, mit Lust am Soloinstrument vor dem Orchester — und einem ordentlichen Klavierkonzert-Schluss!
Sie haben sich mit Ihrem konzert für klavier und großes orchester nicht zum ersten Mal mit dem Genre Konzert beschäftigt, wie Sie verraten haben. Welche „Vorgänger“ liegen in Ihrer Schublade?
Klavierkonzerte bilden den Untergrund meiner musikalischen Sozialisierung: Durch den Bestand in meines Vaters Plattenschrank habe ich seit meiner frühesten Kindheit die Klavierkonzerte Beethovens und Mozarts mitpfeifen können. Später habe ich mich von dem Plattenschrank emanzipiert. Mich haben die Konzerte von Prokofjew tief beeindruckt, besonders die ersten beiden von Bartók, das von Schönberg verwirrt mich bis heute eher, aber ich mag es, ebenso das von Ligeti. Und von den jüngeren Klavierkonzerten steht an erster Stelle das von Lutosławski!
Seit jener Zeit habe ich (natürlich) versucht, Klavierkonzerte zu schreiben. Das erste 1989 (ein ziemlicher Schinken und stilistisches Durcheinander), dann ein zweites 1990 (mit einer überbordenden Besetzung) und 1991 dann noch ein (nicht ganz fertig gewordenes) drittes. Ich habe dann später als Schüler von Reudenbach (so 1994 oder 1995) ein weiteres Klavierkonzert zu schreiben versucht, das dann aber in den erwähnten Diskussionen untergegangen ist.
Was blieb? Diese Vorfreude, wenn ein Flügel vor das Orchester gerollt wird und die Lust, ein Klavierkonzert zu schreiben …
Auch die „Sinfonia concertante“ erweist sich noch immer als lebensfähig, wie Ihr neues Werk sur tourbillon. musik für bassklarinette, violine, violoncello, klavier und ensemble sehr nachdrücklich zeigt. Allerdings: Warum begegnen wir hier dem neutralen Titel „musik für …“?
Dieses „musik für …“ ist ein Manierismus, den ich seit den 1990er Jahren mit mir herumschleppe und mit dem Klavierkonzert fallenlassen will.
Ich habe sur tourbillon nicht als „Sinfonia concertante“ gedacht, eher aus der Entwicklung des Stückes heraus als eine Corona um die Solisten herum. Es ist entstanden als weitere Generation des Klaviertrios tourbillon (2008). Der konzertierende Gedanke hat keine initiale Bedeutung, dennoch liegt er nahe: Der Nukleus dieses Stückes ist das Klaviertrio (erweitert um die Bassklarinette), es strahlt in das Ensemble hinein. Es ist eine gewisse Wechselwirkung zwischen Solisten und Ensemble impliziert, die sich natürlich „konzertierend“ ausnimmt.
Das „Konzert“ ist von jeher eine der großen „öffentlichen Gattungen“ – im Gegensatz zur Kammermusik. Bieten Sie dem Solisten ein Forum zur Darstellung seiner Virtuosität?
Beim Klavierkonzert war es mir wichtig, dass es ein „richtiges“ Konzert wird. Und ich bilde mir ein, erst mit meinem Bariton-Liederzyklus windinnres (2011/13) eine Form des Schreibens für das Klavier gefunden zu haben, die ich für ein Konzert als hinreichend „erwachsen“ empfinde. Das Klavierkonzert hat im Vergleich etwa zu meinem klavierstück nr. 2 (2006) eine viel elegantere und distinguiertere Diktion, die sich im letzten Satz ins Rauschhafte steigert.
Das Orchester folgt ganz klar dem Solisten, spinnt weiterführende Fäden, ist ihm Hallraum, Echo, Bühne, Tanzpartner und Drahtseil für Balanceakte. Instrumentale Virtuosität ist für mich nicht nur mit technischer Brillanz verbunden, genauso fasziniert mich, wenn ein Pianist in selbstversunkener Intimität das Klavier samtig singen lassen kann. So bin ich zu diesen Stellen gekommen, in denen das Orchester zurücktritt oder schweigt und der Pianist entweder versponnene Schleifen dreht und vor sich hin fabuliert – oder aber auch donnernd aus dem Tempo herausstürmt, bis er vom Orchester wieder eingefangen wird und der Ritt gemeinsam weitergeht.
Können Sie skizzieren, wie der erste Abdruck der konzertanten Dramaturgie, der formalen Idee während der Phase der Partiturniederschrift Gestalt annimmt oder modifiziert wird?
Im Klavierkonzert ist die Auseinandersetzung mit der tradierten Konzertform Programm: Das Stück hat zwar vier Sätze, die ich aber anhand eines fraktalen Modells und unter dem Blickwinkel dramaturgischer Stringenz ineinandergeschoben habe. Den „roten Faden“ bildet durchweg das Klavier. Durch die kaleidoskopartige Anordnung der Sätze ergab sich die Möglichkeit, Gedanken und Gesten wieder aufzugreifen – zum „Weiterdenken“ zwischen Orchester und Klavier. Und es gibt die (von mir in formaler Hinsicht geschätzte) Situation, bei der das Orchester dem Solisten wirbelschleppenartig folgt; gerade im vierten Satz treiben sich beide gegenseitig wie Peitschenkreisel immer weiter.
Nun steht schon wieder ein Konzert auf Ihrer Agenda, ein Cellokonzert. Nach dem viersätzigen Klavierkonzert dürften Sie nun andere formale und dramaturgische Pläne verfolgen …
Das Cello als Instrument hat einen ganz anderen Charakter als das Klavier. Das bestimmt ganz massiv meine Klangvorstellung. Es ist immer so: Während ich an einem Stück schreibe, geht meine Phantasie schon anderswo spazieren und schlägt Kapriolen, die mir aber gerade so gar nicht in den Kram passen. Diese Form des Klavierkonzerts ist in meinen Augen bei Weitem noch nicht ausgereizt. Das möchte ich nochmals in eine andere Richtung weitertreiben.
Und längst formieren sich in meinem Hinterkopf neue Bilder: Es wäre schön, eines Tages fünf „Klavierkonzerte“ geschrieben zu haben – und eines davon so ein Gassenhauer wie Prokofjews drittes …
Die Fragen stellte Michael Töpel
(aus [t]akte 2/2014)