Für das Ensemble intercontemporain hat Dieter Ammann sein neuestes Stück komponiert. Darin experimentiert er mit Entwicklungen in sich wiederholenden Strukturen.
Form in der Musik, so lautet ein grundlegender Satz, wird dann erfahrbar, wenn musikalisches Material wiederkehrt und so das Erklingende gliedert. Ein Spiel mit dem Prinzip der Variation und der Wiederholung betreibt Dieter Ammann in Le réseau des reprises, das beim Festival „Musica“ in Straßburg uraufgeführt wird. Im Schaffen von Dieter Ammann ist dieses „Thema“ seiner Komposition ein Novum, denn die dichten Werke des Schweizer Komponisten zeichneten sich bisher durch ihr Prinzip der Einmaligkeit aus, das die Wiederholung als Gestaltungsmittel ausschloss.
In Le réseau des reprises, beschreitet Ammann neue Wege, „eine Reflexion darüber, was Wiederholung und Variante alles bedeuten kann. Sie ist eine Art ‚variations serieuses’, worin das Phänomen der Wiederholung, beziehungsweise der Variantbildung auf ganz verschiedenen Ebenen zum kompositorischen Thema gemacht wird.“ Dabei geht es, so der Komponist, nicht um eine „blockhafte Aneinanderreihung sampleartiger Module, sondern um die Kreation nicht-linearer Verläufe – also mit Sprüngen zurück wie auch nach vorn – bei gleichzeitiger Beibehaltung eines vorwärtstreibenden Grundcharakters als dramaturgischem Prinzip. Die kompositorische Herausforderung bestand also in der Überwindung eines Paradoxons, nämlich trotz Wiederholungselementen eine sich dennoch stets entwickelnde Musik zu gestalten.“
Für den Hörer entsteht ein Vexierspiel mit den Elementen der Komposition, die auf verschiedenen Ebenen permutiert werden, mit neuen Instrumentalschichten konfrontiert, deren Taktteile ausgetauscht oder komprimiert werden, ein Spiel mit der Erkennbarkeit von Bekanntem und Neuem. Gleichzeitig experimentiert Ammann mit dem Tempo von harmonischen Verläufen. Der Arbeitstitel „vertige vertical“ bringt dies auf den Punkt: „Ein weiteres Paradox“, erläutert Ammann, „ist der Versuch, das harmonische Tempo (also die Progression von Akkorden) in gewissen Passagen so hoch zu gestalten, dass deren konsonante Vertikalität in der Wahrnehmung zurücktritt zugunsten horizontaler Bewegungsmuster“. Den Hörer erwartet ein rasantes, virtuoses und dichtes Spiel mit den Mustern der eigenen Wahrnehmung.
Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 2/2014)