Nach dem Meilenstein seiner Oper „South Pole“ für München ist Miroslav Srnka gefragt wie nie. Einem großen Porträt bei den „Dialogen“ in Salzburg folgte die Uraufführung seines Streichquartetts „future family“. Neue Orchester- und Musiktheaterkompositionen erscheinen am Horizont.
1. Beim Festival „Dialoge Salzburg“ gab es kürzlich eine regelrechte Werkschau wichtiger Kompositionen, verbunden mit weiteren interessanten Veranstaltungen rund um Deine Musik. Was machte dieses Programm besonders – auch im Hinblick auf die Vermittlung?
Für mich war das die besondere dramaturgische Betreuung. Obwohl es ein kleines, viertägiges Festival ist, wurde seit anderthalb Jahren jedes Programm genauestens kalibriert. Das Festival konfrontierte zeitgenössische Musik mit klassischem Repertoire. Das ist immer gefährlich, denn es wird oft in einer Art Sandwich-Struktur einfach zusammengeklebt. Aber nicht hier. Es war sehr spannend, tiefe Zusammenhänge zu suchen, etwa zwischen den Streichquartetten von Janáček mit meinen Engrams und dem Klavierquintett Pouhou vlnou. Ich habe bei diesem Konzert selbst neu verstanden, wie viel ich von diesem Genie lernen durfte. Man hat während der Tage gesehen, wie sich ein Kontakt mit dem Publikum aufbaute. So etwa auch durch ein Improvisationskonzert von Mahan Esfahani , ein Wissenschaftskabarett zum Thema Kälte und Eis, ein ernsthaft-lustiges Liedkonzert, Podiumsdiskussionen mit Menschen, die real extreme Situationen in Natur oder zwischen den Menschen erlebt haben, die dann oft zu abstrakten Kunstthemen werden etc. …
Überraschend war dann, wie anderes Publikum zu dem Abschlusskonzert mit Mozarts Requiem kam, und diese Verbindung musste man neu anknüpfen. Eigentlich wollten wir das Gebäude ganz öffnen, eine Art Ausstellung der Musik in einem frei durchgängigen Konzertgebäude, eine Art Line-up von Stücken in einem freien Raum, wo man sich einen ganzen Nachmittag und Abend bewegen könnte. Aber es gab dann auch pragmatische Grenzen wie Kartenverkauf und Planungssicherheit für das Publikum etc. Schließlich wurde das Mozarteum einfach durch weißen Flurboden und eine leuchtende Wand vom bekannten historischen Konzertsaal zu einem mehr abstrakten, Indoor-Outdoor-Raum transformiert. Ich denke, dass ein Freiheitsgefühl der Zuschauer die allerwichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Vermittlung von anspruchsvollen Inhalten und Zeitwahrnehmung in der zeitgenössischen Musik ist.
2. Mit dem Streichquartett „future family“ in Paris, Brüssel und Heidelberg kam nun das erste gewichtige Werk nach der großen Oper „South Pole“ – ein Neuansetzen des Komponierens. Es offenbart eine neue Technik des Schreibens und neue formale Konzepte. Weisen sie in die Zukunft?
Meiner Erfahrung nach weist etwas immer dann in die Zukunft, wenn es am Anfang absolut unklar ist und es viel zu entdecken gibt. Wenn nach einem Stück Fragen und Aufgaben für die nächsten offenbleiben, sollte die Richtung tragend sein. Bei future family brauchte ich allein zwei Tage, um dem Quatuor Diotima alle Spielweisen und Ideen des Stücks zu erläutern, obwohl es die Musiker sind, mit denen ich seit vielen Jahren am engsten zusammenarbeite. Wir hatten mehrere Aufführungen an verschiedenen Orten, und es war erstaunlich, wie sie die zeitliche Gestaltung und Interaktion veränderten. Auch die Reflexe und Reaktionsweisen auf dem Podium mussten neu entwickelt werden. Es war faszinierend für mich, das beobachten zu dürfen und daraus zu lernen.
Das Quartett verlangt ein großes Vertrauen zwischen den Musikern und der Partitur. Sie ist sehr offen. Die Musiker wählen ihre Stimme in dem Stück – jede Stimme sollte auf allen Instrumenten aufführbar sein. Ich nenne es eher „Rollen“ oder „musikalische Charaktere“. Wie in einer Familie im 21. Jahrhundert jeder imstande und frei sein sollte, seine Rolle individuell zu gestalten und nicht den Stereotypen zu unterliegen, so ist auch in dem Stück die Wahl frei. Denn das Streichquartett als Ensemble ist in dieser Hinsicht „musikalisch-sozial” einer Familie am nächsten.
Die ganze Partitur – dem Bärenreiter-Verlegerehepaar Barbara und Leonhard Scheuch gewidmet – habe ich auch technisch ganz anders geschrieben: Sie ist gleichzeitig digital und doch ein Manuskript. Sie ist in einem speziell vorbereiteten graphischen Environment mit einem digitalen Pencil geschrieben. Es entsteht eine Handschrift, die aber komplett wie eine graphische Vektor-Datei zu behandeln ist.
Obwohl die ersten Konzerte aus praktischen Gründen aus provisorischen, ausgedruckten Stimmen gespielt wurden, ist das Ziel, dass das Stück als eine Online-Handschrift existiert, wo man nach der Rollenwahl eine eigene Spielpartitur generieren kann. Das wird noch ein bisschen technisches Entwickeln brauchen.
Als ich die Datei fertiggestellt hatte, meinte der Lektor Michael Töpel, der bei Bärenreiter meine Partituren seit Jahren betreut: „Dies sind die ersten handschriftlichen Noten, die ich von Ihnen sehe.”
3. Auf dem Plan stehen ein Ensemblewerk für die Konzertreihe „Green umbrella“ des Los Angeles Philharmonic im November 2018 sowie längerfristig auch eine neue Musiktheaterarbeit. Was ist in dieser Phase der Konzeption, der Themenfindung besonders wichtig? Geht es auch um ein neues Justieren der kompositorischen Techniken?
Tom Holloway und ich sind immer wieder im Austausch über Themen. Wir diskutieren elektronisch zwischen Europa und Australien ununterbrochen seit bald 10 Jahren. Und dabei tauchen viele Themen auf. Die meisten verschwinden dann wieder. Aber einmal in ein paar Monaten oder Jahren erscheint etwas, was uns immer wieder begeistert. Wir haben jetzt zwei Themen in unterschiedlichen Entwicklungsphasen auf den Tischen. Besser gesagt auf den Bildschirmen. Vielleicht noch ein drittes.
Die kompositorischen Techniken dafür müssen immer funktionell und dramaturgisch begründet sein. An sich sind sie leer. Langsam stelle ich fest, dass ich immer einige Jahre lang sozusagen Trauben von Stücken mache, die in verschiedenen musikalischen Medien einer gemeinsamen Themengruppe folgen. Ich denke mit future family ist eine solche nächste Traube begonnen.
Die Fragen stellte Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 1/2018)