Die Entstehung von Händels Oper Lucio Cornelio Silla ist nicht klar. Doch wegen der interessanten Charaktere und einer ausgezeichneten Musik verdient sie eine neue Chance. Die Festspiele in Halle wagen sie in diesem Sommer.
Über die Komposition, Besetzung und Aufführung der Oper Lucio Cornelio Silla, die in Kürze in der Hallischen Händel-Ausgabe veröffentlicht wird, ist weniger bekannt als über jede andere Oper Händels. Wir wissen noch nicht einmal, ob das Werk überhaupt in seiner Entstehungszeit aufgeführt worden ist. Es existiert allerdings eine gedruckte Ausgabe des Librettos von Giacomo Rossi, die mit einer überschwänglichen Widmung an den Grafen d’Aumont versehen ist. Das Libretto belegt, dass eine Aufführung vermutlich für den 2. Juni 1713 (den Tag der Widmung) geplant war. Sollte es tatsächlich eine Aufführung gegeben haben, so vermutlich in privatem Rahmen im Queen’s Theatre am Londoner Haymarket. Weitere Aufführungen bis zur Inszenierung 1990 in Paris sind nicht bekannt. Seitdem wurde die Oper mehrmals konzertant aufgeführt. Im Juni wird das Werk nach der Neuedition bei den Händel-Festspielen in Halle zu sehen sein.
Hauptfigur der Oper ist der römische Diktator Lucius Cornelius Sulla (so die lateinische Schreibweise), der von 138 bis 78 v. Chr. lebte. Die Geschichtsschreibung hat von ihm das Bild eines skrupellosen Tyrannen gezeichnet, der nach dem Kampf gegen seinen Rivalen Marius die Macht in Rom an sich riss und eine Schreckensherrschaft einführte, während der er grausame Rache an seinen Feinden nahm. Gleichwohl machte er auch tausende Sklaven zu Bürgern. Seine Gemetzel verübte Sulla mit der Rechtfertigung, sie seien ihm von einer Göttin im Schlaf befohlen worden. (Dramatisch dargestellt wird dies im zweiten Akt der Oper, auch wenn es sich hier um einen männlichen Gott mit Bassstimme handelt.) Die antiken Geschichtsschreiber wussten wenig Gutes über Sulla zu berichten.
Er liebte seine Frau Metella und sie ihn, doch war er untreu und lief anderen Frauen nach. Dennoch gibt es in der Oper Momente der Zärtlichkeit zwischen beiden; die Geschichte ist ja voll von Frauen, die widerliche Tyrannen liebten und sich ihnen gegenüber loyal verhielten.
In seinem Libretto hat Rossi darauf geachtet, auch eine komische Seite des Kaisers zu zeigen, als Silla bei den beiden anderen Frauenfiguren der Oper, Flavia und Celia, aberwitzig erfolglose Annäherungsversuche unternimmt. Weitere Charaktere des Dramas – Sillas Freund Lepido, Flavias Ehemann, und sein geheimer Gegner Claudio, Celias Liebhaber – werden dagegen als gewöhnliche Leute dargestellt. Sie sind in ihre eigenen Beziehungen verwickelt, müssen jedoch auch ihren Weg aus den tragischen Situationen herausfinden, in die sie Sillas tyrannisches Verhalten immer wieder bringt. So weist er beispielsweise Lepido an, sich von Flavia scheiden zu lassen, nur um sie selbst heiraten zu können.
Ein gut bekannter Topos der Barockoper ist das „lieto fine“ oder Happy End, das dem heutigen Publikum oft absurd erscheint, da sogar die bösen Charaktere ihre Boshaftigkeit bereuen und jeder beschließt, den anderen zu lieben. Ironischerweise spiegelt gerade im Fall von Silla dieser Schluss die historische Wahrheit wider.
Nur etwa die Hälfte von Händels Autograph ist erhalten. Es existieren jedoch gute Partiturabschriften, auch wenn Teile der Musik verloren sind. Der Herausgeber Terence Best hat deshalb drei Sätze aus anderen Werken Händels für diese Oper eingerichtet.
Das Werk birgt viel ausgezeichnete Musik, einschließlich eines der schönsten Duette aus Händels Opern. Zwei zum Tode verurteilte Liebende (hier Lepido und Flavia) gestehen sich in Gewissheit des nahenden Todes gegenseitig ihre Zuneigung. So ist „Ti lascio, idolo mio“ ein exquisites, wenn auch nur 14 Takte langes Stück, und wie dieses gibt es noch viele weitere schöne Nummern. Unter Händel-Enthusiasten wird die Neuedition sicher zahlreiche Freunde finden.
Terence Best
(aus [t]akte 1/2015 – Übersetzung: Felix Werthschulte)