Trotz optimaler Produktionsbedingungen und äußerer Umstände war der Uraufführung im Jahr 1749 kein Erfolg beschieden. Erst mit der zweiten, grundlegend überarbeiteten Fassung seines „Zoroastre“ gewann Jean-Philippe Rameau die Gunst des Publikums. Das altpersischen Quellen entnommene Thema des Librettos von Louis de Cahusac ist der Kampf zwischen Gut und Böse, der hier von dem religiösen Reformators Zoroastre und dessen Widersacher, dem ehrgeizige Zauberer Abramane ausgefochten wird. Diese drastische dualistische Gegenüberstellung ermöglichte es dem Textautor, rituelle und Glaubenselemente aus dem Freimaurertum einzuführen. Mit Graham Sadlers innerhalb der „Opera Omnia Rameau“ erschienenen Neuedition der zweiten Fassung und dem leihweise angebotenen Aufführungsmaterial kann nun an die erfolgreiche Aufführungstradition angeknüpft werden.
Trotz Starbesetzung und opulenter Inszenierung – bei seiner Uraufführung an der Académie royale de musique im Dezember 1749 war „Zoroastre“ vom Publikum nur kühl aufgenommen worden. Obwohl der sogenannte Lullisten-Ramisten-Streit, der in den 1730er-Jahren um Rameaus Opern entbrannte, weitgehend abgeklungen war, hatten Gegner des Komponisten und des Librettisten Louis de Cahusac offenbar eine Kabale gegen die Oper organisiert, die die öffentliche Meinung negativ beeinflusste. Für die Wiederaufnahme 1756 überarbeiteten Rameau und Cahusac „Zoroastre“ dann derart umfassend, dass von den fünf Akten nur der erste und der vierte einigermaßen unverändert blieben; die anderen drei Akte wurden vollständig bis in den Handlungsverlauf hinein umgeschrieben, so dass diese Fassung eine in jeder Hinsicht neue Oper darstellt, die mit der originalen Fassung von 1749 nur noch bestimmte Elemente gemein hat.
Diese Änderungen wurden allgemein als vorteilhaft angesehen, und als „Zoroastre“ zwischen dem 20. Januar 1756 und dem 26. März 1757 in der Académie royale de musique 39-mal in seiner überarbeiteten Form aufgeführt wurde, nahm auch die Kritik das Stück sehr positiv auf. Mit nur geringfügigen weiteren Änderungen gelangte die Oper am 26. Januar 1770 zur Einweihung des nach dem Brand von 1763 wieder aufgebauten Theaters der Académie royale im Palais Royal erneut zur Aufführung.
In seinem Vorwort zum Libretto führt Cahusac aus, dass bereits die Wahl des Themas „Zoroastre“ (Zarathustra) einen Bruch gegenüber den klassischen Legenden oder mittelalterlichen Romanzen bedeutete, die in der Gattung der Tragédie en musique traditionell Handlungsgegenstand waren. Das altpersischen Quellen entnommene Thema des Librettos (Cahusac benennt sie in seinem Vorwort) ist der Kampf zwischen Gut und Böse. Stellvertreter des Guten ist der religiöse Reformator Zoroastre, ein Vertreter des höchsten Lichtwesens Orosmade. Ihm steht der ehrgeizige Zauberer Abramane (eine Erfindung von Cahusac) gegenüber, der Ariman, dem Geist der Finsternis, dient.
Diese drastische dualistische Gegenüberstellung ermöglichte es Cahusac, rituelle und Glaubenselemente aus dem Freimaurertum einzuführen (er war Sekretär des Grafen von Clermont, des Großmeisters der französischen Loge), die vor allem in den Szenen der Anbetung des Sonnengottes und der Vorbereitung für Zoroastres Initiation zum Tragen kommen. Zeitgenössische Kommentatoren zeigten sich beeindruckt vom didaktisch-philosophischen Ton der Oper mit ihren aufklärerischen Elementen wie der Initiation oder dem Streben nach Tugend und universellem Glück. In der Fassung von 1756 sind die freimaurerischen Elemente gegenüber der ursprünglichen Fassung sogar noch verdeutlicht. In der Einweihungsszene, die der Mozarts Sarastro ähnliche Oromazès, König der Genien, leitet, wird Zoroastre in einen höheren Bewusstseinszustand erhoben. Außerdem erweitert sich seine Aufgabe der Befreiung Baktriens zur allgemeineren der Befreiung des Universums von den Mächten des Bösen. Stärkere Betonung erfährt auch die Vorbereitung Zoroastres auf seine Mission, bei der ihm Talismane anvertraut werden.
Diese Szenen in dem neuen zweiten Akt enthalten einige von Rameaus ekstatischsten und spirituellsten Musiknummern, so z. B. die Episode der Sonnenanbetung im dritten Akt mit der erhabenen „Hymne à la Lumière“, die aus unerfindlichen Gründen bei der Wiederaufnahme von 1756 entfiel; in der Neuausgabe ist sie daher als Anhang 3 enthalten. Der jenseitige Charakter des Oromazès wird begleitet (ähnlich dem Christus in Bachs „Matthäus-Passion“) vom Klang ausgehaltener Streicherdoppelgriffe zu seinen Äußerungen. Die Stärkung des Glaubensführers Zoroastre schafft zudem eine glaubwürdigere Folie für Abramanes kolossales okkultes Opfer, das fast den gesamten vierten Akt einnimmt. Diese außergewöhnliche Zeremonie steigert sich allmählich in einen ekstatischen Rausch, gipfelnd in einer erstaunlichen Reihe kraftvoller Ensembles.
Vielleicht ist die Fassung der Oper von 1756 in einer Hinsicht auch als konventioneller zu bezeichnen, weil sie der Liebe Zoroastres zu der jungen Prinzessin Amélite mehr Raum widmet und damit seinen Status als religiöser Führer leicht untergräbt. Doch erweisen sich viele andere Änderungen dieser Fassung als dramatischer Zugewinn, und das Werk ist insgesamt musikalisch reicher und straffer aufgebaut als das Original von 1749. Bestimmte Ereignisse wie Zoroastres Rettung durch Amélite sind geschickter gehandhabt, während die die Hochzeit der Hindustani-Schüler im zweiten Akt, eine ausgedehnte, eher irrelevante Episode der Fassung 1749, ganz entfällt. Mit „Zoroastre“ übrigens wurde der Prolog, wie er in der französischen Oper seit ihren Anfängen in den 1670er-Jahren üblich war, abgeschafft. Die die an seine Stelle tretende Ouvertüre ist die erste, in der Rameau uns auf das gesamte Drama vorbereitet - und nimmt damit Glucks Reformen um viele Jahre vorweg.
Graham Sadler (Mai 2022)
(Übersetzung: Annette Thein)