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Kann das gutgehen? Liebe zwischen Feinden in Rameaus „Les Fêtes de Ramire“

Jean-Philippe Rameau
Les Fêtes de Ramire. Ballett in einem Akt. Libretto: Voltaire. Hrsg. von Julien Dubruque. Opera omnia Rameau IV/13

Besetzung: Fatime (Dessus), Isbé (Dessus), Ramire (Haute-contre), Premier Guerrier (Haute-contre), Deuxième Guerrier (Basse), Un Devin (Basse), Première Grâce (Dessus), Deuxième Grâce (Dessus), Troisième Grâce (Bas-Dessus), Une Suivante de Ramire (Dessus), Un Suivant de Ramire (Basse) – Chor (D,HC,T,B) / Ballett

Orchester: Flöten, Oboe, Musettes, Fagotte, Hörner, Trompeten, Pauke, Streicher – Basso continuo

Aufführungsdauer: ca. 60 Minuten

Verlag: Société Jean-Philippe Rameau/Bärenreiter, BA08876, Partitur, Klavierauszug käuflich, Aufführungsmaterial leihweise

1745 nur einmal aufgeführt, aber dennoch voller exquisiter Musik, die auf eine Wiederentdeckung wartet: Rameaus „Les Fêtes de Ramire“.

Am 22. Dezember 1745 kam es am Versailler Hof zu der einmaligen Aufführung des Balletts „Les Fêtes de Ramire“. Das Werk gehört gewiss nicht zu den bekanntesten Kompositionen von Jean-Philippe Rameau. Und dies aus gutem Grund: Es besteht zwar hauptsächlich aus Musik Rameaus, tatsächlich handelt es sich aber um eine Bearbeitung der Divertissements aus „La Princesse de Navarre“, deren Uraufführung etliche Monate zuvor, am 23. Februar 1745, ebenfalls am Hof stattgefunden hatte: Voltaire modifizierte das Libretto, wie zu einem geringen Teil auch Jean-Jacques Rousseau, der zudem die Musik anpasste. Laut Rousseau habe sich Rameau damit zufriedengegeben, in letzter Minute das Endresultat zu sehen, ohne dass er Zeit gehabt hätte, mit zusätzlicher Musik, wie insbesondere einer neuen Ouvertüre, dazu beizutragen.

Alle Stücke Rameaus, die Eingang in „Les Fêtes de Ramire“ fanden, stammen also aus „La Princesse de Navarre“; aber nicht alle Stücke aus „La Princesse de Navarre“ wurden in „Les Fêtes de Ramire“ aufgenommen. Vermutlich war es Voltaire selbst, der jene Passagen wegließ, die zu sehr mit der ursprünglichen Handlung verbunden waren; für die neuen Überleitungsszenen erfand er eine Handlung, die zwangsläufig mager ausfiel (sie enthält weniger als sechzig Verse!). Auf dem Allerweltsthema der Liebe zwischen zwei Feinden sowie einem wirklich gut ausgestalteten Exotismus beruhend, ist sie immerhin eine Neuerfindung: Fatime, die Prinzessin von Granada (eine Muslima), wurde von Alphonse, dem König von Kastilien (einem Katholiken), gefangen genommen; doch dessen Sohn Ramire ist verliebt in Fatime und befreit sie.

Aber warum wurde Rousseau damit beauftragt, den neuen Text Voltaires zu vertonen, und nicht Rameau? Aus Rousseaus „Confessions“ geht hervor, dass sich Rameau im Herbst 1745 intensiv mit seiner Oper „Le Temple de la Gloire“ (in den „Opera omnia Rameau“ bereits publiziert) beschäftigte, die tatsächlich am 27. November und am 4. Dezember am Hof und ab dem 7. Dezember 1745 an der Académie royale de musique zur Aufführung kam. Vielleicht hatte es Rousseau aber vielmehr einem Skandal zu verdanken, dass er vom Herzog von Richelieu – in jenem Jahr Auftraggeber aller in Versailles aufgeführten Werke – für diese Aufgabe bestimmt worden war: Im Herbst war es Rousseau gelungen, Richelieu seine Oper „Les Muses galantes“ anlässlich einer Probe zu präsentieren. Ebenfalls anwesend war Rameau, der darüber in Zorn geriet und Rousseau öffentlich als Laien und Plagiator beschimpfte. Man kann annehmen, dass durch Rameaus Feindseligkeit „Les Muses galantes“ verworfen wurde, der Herzog von Richelieu in der Folge jedoch an Rousseau dachte, als es darum ging, „Les Fêtes de Ramire“ zu bearbeiten. Vielleicht eine Art Trostpreis für Rousseau?

Indessen gibt es einen strittigen Punkt in der Geschichte von „Les Fêtes de Ramire“: In der Annahme, dass dieses Werk die gleiche Ouvertüre hatte wie „La Princesse de Navarre“, haben Kritiker Rousseau der Lüge bezichtigt. Wir dagegen glauben, dass es seine eigene Ouvertüre war, die sich in dem (leider verschollenen) Manuskript befand, das vermutlich für die Produktion beider Werke als Partitur diente. In der einzigen Quelle, die von „Les Fêtes de Ramire“ erhalten ist, einer verlässlichen, handschriftlichen Kopie, sind in der Ouvertüre einige Zwischenstimmen im C-Schlüssel auf der dritten Linie notiert, wie alle anderen Zusätze von Rousseau in „Les Fêtes de Ramire“ und wie überall sonst in seinem umfangreichen musikalischen Schaffen; Rameau dagegen notierte die Hautes-Contre und die Tailles de violon immer im C-Schlüssel auf der ersten und zweiten Linie. Demnach wurden in den späteren Aufführungen der „Princesse de Navarre“ (1763 in Bordeaux; 1769 am Hof, wo das Stück ein Misserfolg war) die zu den „Les Fêtes de Ramire“ gehörenden Vokalstücke zwar weggelassen, dieses Instrumentalstück von Rousseau aber beibehalten.

Tatsache ist auch, dass die aus Fragmenten bestehende Aufführung von 1745 kaum ein Echo fand, ebenso wenig wie die erste Ausgabe der „Fêtes de Ramire“ in der von Camille Saint-Saëns geleiteten Gesamtedition von 1906. Das Werk hat jedoch Besseres verdient, als ganz in Vergessenheit zu geraten: Voltaire mochte sein Libretto „jämmerlich“ gefunden haben, und die wenigen Minuten von Rousseaus Musik werden kaum neugierig machen; aber die Häufung vorzüglicher Stücke Rameaus – von denen er übrigens eine Vielzahl in seinen späteren Werken verwenden sollte – kann nur dazu ermutigen, das Werk zur Aufführung zu bringen.

Julien Dubruque
(Übersetzung: Irene Weber-Froboese) 
(aus [t]akte 2/2025)

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