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Orpheus und Eurydike. Das Drama um die Macht des Gesangs, um Liebe und Tod

Orpheus-Opern bei Bärenreiter

Claudio Monteverdi: L’Orfeo. Hrsg. von Rinaldo Alessandrini. BA08793

Georg Philipp Telemann: Die wunderbare Beständigkeit der Liebe oder Orpheus TVWV 21:18. Hrsg. von Ulf Grapenthin und Wolfgang Hirschmann. BA07799

Christoph Willibald Gluck: Orfeo ed Euridice. Hrsg. von Anna Amalie Abert und Ludwig Finscher. BA02294

Christoph Willibald Gluck: Orphée et Euridice. Hrsg. von Ludwig Finscher. BA02292

Christoph Willibald Gluck: Le feste d’Apollo: Atto d’Orfeo. Hrsg. von Gabriele Buschmeier und Isolde von Foerster. BA05808/BA05842

Hector Berlioz: Orphée. Arrangement de Chr. W. Gluck „Orphée ed Euridice“. Hrsg. von Joël-Marie Fauquet. BA05462

Hector Berlioz: La mort d’Orphée. Monologue et Bacchanale. Hrsg. von David Gilbert. BA005446/ BA05788

Giselher Klebe: Orpheus. Dramatische Szene für Orchester  op. 73. BA06721

Beat Furrer: Begehren. Musiktheater. BA07721

Beat Furrer: Orpheus’ Bücher für Chor und Orchester. BA07723


Gemälde: Anselm Feuerbach: Orpheus und Eurydike (1869). Österreich, Galerie Belvedere

Szenenfoto: Glucks „Orphée“ beim Maggio Musicale Fiorentino 2022 (Musikalische Leitung: Daniele Gatti, Inszenierung: Pierre Audi, Foto: Michele Monasta)

Wohl kaum ein Mythos ist so eng mit der Geschichte des Musiktheaters verbunden wie der des Sängers Orpheus. Aus den zahlreichen Werken zum Stoff ragen einige heraus, die bei Bärenreiter · Alkor erhältlich sind.

Orpheus verstand es, mit seinem Gesang wilde Tiere zu besänftigen, und wagte es, in die Unterwelt herabzusteigen, um seine geliebte Eurydike zurückzuholen. Weil er jedoch die ihm auferlegten Bedingungen missachtete, gelang es ihm nicht, den Tod zu besiegen. In den vielen Vertonungen des Stoffs wurden immer wieder szenisch-inhaltliche Akzente verschoben: Mal ist es der Sänger selbst, mal sein verzaubernder Gesang, der die Götter der Unterwelt besänftigt, mal ist es seine zu große Liebe, seine Sehnsucht nach Eurydike, die ihn dazu verleitet, sich nach ihr umzudrehen, mal ist es aber auch diese selbst, die ihn dazu drängt. Der Ausgang ist teils tragisch, teils aber auch abweichend vom Mythos glücklich, je nach Aufführungskontext.

Nach Jacopo Peris bzw. Giulio Caccinis und Ottavio Rinuccinis „L’Euridice“ von 1600, mit der die Operngeschichte ihren Anfang nahm, wurde Claudio Monteverdis „L’Orfeo“, uraufgeführt 1607 in Mantua, zum Meilenstein des Musiktheaters. Das Werk setzt mit einem bevorstehenden Hochzeitsfest ein, das durch die Schreckensnachricht des Todes der Braut nicht stattfinden kann. Am Tor der Unterwelt wendet sich Orpheus an den Herrscher der Unterwelt Pluto, bewegt mit seinem Gesang aber auch dessen Frau Proserpina, die sich dafür einsetzt, dass dem Sänger der Weg freigegeben wird. Als sich Orpheus auf dem Rückweg sehnsüchtig nach Eurydike umdreht, erkennt diese, dass er sie aufgrund seiner zu großen Liebe verlieren wird. Der Weg zum guten Ende wird in Partitur und Libretto unterschiedlich gestaltet: In der Partitur ist es Apoll, der in der Entrückung dem Protagonisten die Möglichkeit gibt, Eurydike in den Sternen wiederzusehen. Im Libretto hingegen ergreift Orpheus die Flucht, und das Werk endet mit einem Fest von Bacchantinnen. Die Besonderheit an Monteverdis Orfeo ist, dass die Fabel erstmals nicht nur erzählt, sondern bewusst als Drama umgesetzt wird. 

In Georg Philip Telemanns Oper „Orpheus oder die wunderbare Beständigkeit der Liebe“, 1726 uraufgeführt im Opernhaus am Gänsemarkt in Hamburg, steht die Verherrlichung der Gattenliebe hingegen im Mittelpunkt eines barocken Intrigenstücks. Eurydike stirbt durch einen Schlangenbiss, der durch die (im Mythos unbekannte) eifersüchtige thrakische Königin Orasia herbeigeführt wird. Auch in diesem Werk steigt Orpheus in die Unterwelt und verliert Eurydike auf dem Rückweg. Tanzende Furien hindern ihn zur Strafe, in einem zweiten Versuch die Katastrophe ungeschehen zu machen. Wie in der Variante des Mythos, die auf den römischen Dichter Ovid zurückgeht, wird Orpheus schließlich von rasenden Bacchantinnen getötet.

Vor dem Hintergrund dieser genannten Vertonungen muss „Orfeo ed Euridice“ von Christoph Willibald Gluck und Ranieri de Calzabigi (Wien 1762) wie eine außerordentliche Verdichtung des Mythos erscheinen. Die Hauptpersonen werden auf Orpheus, Eurydike und Amor beschränkt. Sie interagieren mit Chören von Hirten und Nymphen, Furien, Helden und Heldinnen. Uneingeschränkter Mittelpunkt des Geschehens ist jedoch Orpheus selbst, der sich vom Anfang bis zum Schluss auf der Bühne befindet. Die Hochzeit und der plötzlich hereinbrechende Tod der Eurydike werden nicht in Szene gesetzt, die Handlung beginnt sogleich mit dem trauernden Titelhelden. Die erste Katastrophe des Mythos hat beim Aufgehen des Vorhangs also schon stattgefunden. Calzabigi nutzt den aus der Tragédie lyrique bekannten Topos der Trauerszene, um ein wirkungsvolles Tableau zu erzeugen und den Protagonisten gleich in den Mittelpunkt zu rücken. Der ihn umgebende Chor von Hirten und Nymphen seines Gefolges hat keine solistischen Chorführerpartien, führt den Dialog immer als geschlossener Körper. Die Aussicht auf eine Rückkehr der verstorbenen Eurydike wird Orpheus von Amor eröffnet, der ihm als göttlicher Bote die damit verbundenen Bedingungen mitteilt. Der Sänger steigt zur Unterwelt hinab und wird dort von einem wild tanzenden Furienchor empfangen. Mit ihm allein führt er die Auseinandersetzung um die Rückgabe Eurydikes, weder Proserpina noch Pluto treten auf. 

Furien und Dämonen werden in Glucks Werk ganz gezielt als korporativer Gegenpol zum Protagonisten eingesetzt, und zu ihrer Besänftigung singt Orpheus keine virtuose Arie: Die Begleitung einer Harfe verdeutlicht als Anspielung auf die von Apollon verliehene Kithara die „Bühnenlied-Situation“. Die Wirkung des Gesangs kommt ausschließlich durch die sich schrittweise wandelnde Reaktion des Chores zum Ausdruck. Der tragische Höhepunkt wird bühnenwirksam aufgebaut: Eurydike drängt Orpheus, er möge sie anschauen. Dieser kämpft zunächst mit sich und blickt sie schließlich doch an. Eurydike stirbt. Orpheus’ Verzweiflung gipfelt in einem dramatischen Rezitativ und der Rondo-Arie „Che farò senza Euridice“, einem der populärsten und zugleich dem am schwierigsten zu deutenden Stück des Werks, weil es so gar nicht zu der Tragik der Situation zu passen scheint. Amor hat jedoch Erbarmen und bringt Eurydike zurück.

In der Wiener Erstfassung von 1762 ist die Titelpartie mit einem Alt besetzt, für eine Aufführung in Parma 1769 arrangierte Gluck sie für Sopran. 1774 bearbeitete er das Werk noch einmal umfassend und brachte es als „Orphée et Euridice“ in französische Sprache und mit einem hohen Tenor in der Titelpartie in Paris auf die Bühne.

Auch Joseph Haydn versuchte sich an dem Mythos und schrieb eine „L’anima del filosofo ossia Orfeo ed Euridice“ betitelte Oper (Libretto: Carlo Francesco Badini). Das Werk blieb Fragment: Es sollte 1791 in London aufgeführt werden, fiel jedoch lokalen Kabalen zum Opfer und wurde nicht vollendet. Für die Titelpartie war niemand Geringeres als Giacomo David, einer der großen Tenöre seiner Zeit, vorgesehen, weshalb weniger die Macht des Gesangs als der Starsänger im Mittelpunkt steht. Bei seinem Auftritt mit der Arie „Cara speme“ gibt er seine sängerisch brillante Visitenkarte ab. Der Mythos wird in Haydns Vertonung wieder zum eigenwilligen Intrigenstück: König Kreon hat seine Tochter Eurydike Arrhidaios zur Ehe versprochen, die liebt aber den thrakischen Sänger Orpheus. Als sie sich eines Tages in einer unwegsamen Gegend verirrt, wird sie von Ungeheuern gefangen genommen. Orpheus rettet sie aus dieser Gefahr und erhält sie zur Belohnung zur Frau. Als Arrhidaios sie entführen will, tritt sie versehentlich auf eine Schlange und stirbt von deren Biss. Von einem Genius begleitet erreicht Orpheus in der Unterwelt, dass Pluto Eurydike wieder freigibt. Auf dem Rückweg nimmt die Katastrophe wieder ihren Lauf. In seiner Verzweiflung über Eurydikes erneuten Tod entsagt Orpheus der Liebe und wird von Bacchantinnen vergiftet.

Wie im Falle anderer klassischer Mythen, gilt es auch in der musikdramatischen Rezeptionsgeschichte der Orpheus-Fabel im 19. Jahrhundert einen großen chronologischen Sprung zu tun. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts treffen wir wieder auf ein Werk, das sich mit der Fabel auseinandersetzt. Jacques Offenbachs „Orphée aux enfers“ von 1858 ist als bissige Sozialsatire ein Beleg für den Bekanntheitsgrad dieses Mythos, dem sich etwa zur gleichen Zeit und auf ganz andere Weise auch Hector Berlioz widmete, indem er für die Sängerin Pauline Viardot-Garcia eine Mischfassung aus dem Gluck’schen „Orfeo“ und „Orphée“ erstellte. Erst nach 1900 erlebte der Orpheus-Mythos eine deutliche Renaissance, u. a. durch Darius Milhaud („Les Malheurs d’Orphée“ 1924), Ernst Krenek („Orpheus und Eurydike“ 1923) und Alfredo Casella („La favola d’Orfeo“ 1932). Seine Faszination hat er bis heute bewahrt: Beat Furrer hat sich mit den antiken Quellen des Mythos beschäftigt und hat diese in seinen Kompositionen „Begehren“ und „Orpheus’ Bücher“ verarbeitet. Giselher Klebe verzichtet in seinem Orpheus auf dessen singende Stimme und setzt den Stoff in „dramatischen Szenen“ für Orchester um. Furrer wie Klebe gelang es einmal mehr zu zeigen, dass kaum ein anderer Mythos in der Musik so viele immer neue Facetten der Interpretation eröffnet, von den Anfängen um 1600 bis zum heutigen Tage.

Daniel Brandenburg
(aus [t]akte 2/2025)

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