Die Neuausgabe präsentiert keine „neue Rusalka“,Dirigenten, Musiker und Zuschauer werden dasselbe tschechische Meisterwerk wiedererkennen, das seit mehr als hundert Jahren so beliebt ist –, wohl aber die Oper in ihrer endgültigen Form.
Antonín Dvořáks „Rusalka“ ist eine der bekanntesten und beliebtesten tschechischen Opern. Seit seiner Uraufführung am 31. März 1901 in Prag unter der musikalischen Leitung von Karel Kovařovic hat das „Lyrische Märchen“ das Publikum rund um die Welt bezaubert. Der Dichter und Stückeschreiber Jaroslav Kvapil (1868–1950) hatte sich beim Schreiben des Librettos von Hans Christian Andersens Märchen „Die kleine Seejungfrau“ (1837) und den Figuren der Undine und Melusine inspirieren lassen. Sein Text erzählt die Geschichte einer Nixe, die sich in einen Prinz verliebt, ihre wunderschöne Stimme aufgibt, um ein Mensch zu werden, dann aber zurückgewiesen wird. Zwar ist Rusalka einerseits ein wunderbares Märchen, andererseits aber vermittelt die Oper mit ihrem reichen symbolischen Text universelle Themen. Kvapils Poesie und Dvořáks opulente und tief empfundene Musik haben ein wahres Meisterwerk geschaffen.
Die 1960 im Rahmen der Dvořák-Gesamtausgabe erschienene Partitur, herausgegeben von Jarmil Burghauser (1921–1997) galt seitdem als die endgültige Fassung. Obwohl die Edition in ihrer Zeit ein Meilenstein der Editionstechnik war, bleiben nach heutigen Maßstäben doch viele Fragen offen. Die Herangehensweise ist nicht einheitlich, und oft ist es schwierig herauszufinden, wo und wie Burghauser eingegriffen hat. Während er in einigen Stellen überaus getreu Dvořáks Notationseigenheiten wiedergab, gestattete er sich in anderen umfangreiche Änderungen, ohne sie zu kommentieren. Wie bei vielen anderen Werken des Komponisten auch, bestand kein Zweifel, dass eine Neuedition notwendig war.
Die Quellen
Die Hauptquellen von „Rusalka“ liegen im Antonín-Dvořák-Museum (im Tschechischen Museum der Musik) und im Archiv des Prager Nationaltheaters. Das Autograph von Dvořáks Partitur ist gut erhalten und enthält zahlreiche Änderungen und Anmerkungen. Der Komponist arbeitete zügig, und sein charakteristischer Notationsstil ist nicht gerade für Genauigkeit bekannt. Burghauser untersuchte alle Änderungen im Autograph, versuchte, jede frühere Schicht aufzudecken und dokumentierte sie im Kritischen Bericht sorgfältig als „Fassung I“. Obwohl Dvořák diese Veränderungen meist beim Vervollständigen der Partitur vornahm, so dass wir heute einen guten Einblick in seine Arbeitsweise haben, sind sie von geringer Bedeutung für die Endfassung.
Eine faszinierende Quelle ist die Abschrift der Partitur im Nationaltheater. Sie wurde für die Premiere und über Jahrzehnte für weitere Aufführungen erstellt und benutzt. Die langen Jahre der Verwendung als Dirigierpartitur hinterließen Schicht über Schicht, wodurch eine reiche Aufführungsgeschichte festgehalten ist. Die Herausforderung bestand nun darin, diese Schichten zu entwirren und zu entscheiden, was man als vom Komponisten autorisiert annehmen kann.
Die Dirigenten Jaroslav Krombholc und Václav Talich dirigierten beide aus dieser Partitur. Besonders Talich nahm umfangreiche Änderungen mit dem Ziel vor, die Balance zwischen Orchester und Stimmen zu verfeinern. Der Schüssel zu der Neuedition liegt gleichwohl in den frühesten Anmerkungen von Karel Kovařovic und Dvořák selbst.
Als Ergänzung zur Dirigierpartitur wurden die originalen Stimmen der Uraufführung herangezogen, was es ermöglichte, Erkenntnisse aus den Korrekturen und Änderungen bei Proben oder Aufführungen zu gewinnen. Der praktische Blick der Musiker kann auf kleinere Irrtümer und Abweichungen hinweisen und so bei editorischen Entscheidungen helfen.
Die anderen wichtigen Quellen sind die erhaltenen handschriftlichen Klavierauszüge, die Burghauser nicht kannte. Der früheste Klavierauszug stammt von den Proben im Nationaltheater und entstand gleichzeitig mit den Stimmen. Er enthält zahlreiche Markierungen von Dvořák, die Angaben zu Dynamik und Tempo hinzufügen oder verbessern, Alternativen in den Gesangsstimmen und viele Veränderungen im Klaviersatz, die ein hohes Maß an Verbundenheit mit dem Klavierauszug enthüllen.
Zwei weitere Kopien wurden unter Dvořáks Mitwirkung erstellt. Sie enthalten zusätzliche Revisionen sowie die deutsche Übersetzung von Josa Will und dienten als Grundlage der Erstausgabe des Klavierauszugs, veröffentlicht nach Dvořáks Tod 1905 von Mojmír Urbánek. 1938 schrieb der Dvořák-Biograph Otakar Šourek die Bearbeitung Josef Faměra (1883–1914) zu.
Die neue Edition
Die Ausgabe von 1960 enthält eine Reihe von Irrtümern und Druckfehlern; viele Vortragsanweisungen in den Quellen wurden nicht beachtet. Artikulation und Dynamik wurden oft vereinheitlicht, ohne Eingriffe zu kennzeichnen.
Dvořáks Notation mag uneinheitlich erscheinen, dennoch waltet oft eine Logik darin. So hat zum Beispiel eine wiederkehrende rhythmische Figur (s. Notenbeispiel 1) eine leicht abweichende Artikulation, je nachdem, ob die Stelle im Fortissimo oder Mezzoforte steht. Werden solche Figuren vereinheitlicht, verschwinden die beabsichtigten feinen Unterschiede. Die Herangehensweise des Herausgebers war es stets, den Quellen zu folgen und sie in jedem Moment im Hinblick auf die Absicht des Komponisten abzuwägen. Einige dieser bedeutenden Neubewertungen verdanken sich gelegentlichen Auslassungen durch Dvořák, z. B. dem Wegfall eines Instruments (s. Notenbeispiel 2) nach einer Wendestelle, oder nicht sorgfältig ausgeschriebenen Pizzicato- bzw. Arco-Kennzeichnungen in den Streichern. Im Abgleich mit entsprechenden Stellen und anderen Quellen wurde dies korrigiert.
Viele kleine Unterschiede gegenüber der alten Edition sind durch die Wahl der Primärquellen entstanden. Burghauser nutzte Dvořáks Autograph als Hauptquelle und griff nur gelegentlich auf die Dirigierpartitur zurück. Die Neuedition erklärt nun die Dirigierpartitur zur Hauptquelle, bezieht sich jedoch eng auf das Autograph und nutzt beide zur Erstellung der definitiven Fassung.
Dvořák war bei den Proben anwesend, und Anmerkungen in seinem Autograph beziehen sich oft auf die Dirigierpartitur. Seine Korrekturen entsprechen fast immer denen von Kovařovic, was zeigt, dass ein echter Dialog zwischen beiden stattfand und dass der Komponist eng in die Vorbereitung der Uraufführung eingebunden war. Nicht alle Korrekturen in einer Partitur spiegeln sich in der anderen; es müssen also beide Quellen herangezogen werden.
Zusätzlich dienten die handschriftlichen Klavierauszüge als sekundäre Quellen für die Gesangslinien. Dvořáks Beschäftigung mit ihnen waren seine letzte Arbeit an dem Werk. Alle diese Bemerkungen wurden sorgfältig untersucht.
Der Text der Oper wurde von Jonáš Hájek revidiert, der alle Quellen des Librettos untersuchte und viele der feinen Änderungen, die Dvořák in Kvapils Text vornahm, wiederherstellte. Hielt Burghauser sie noch für Irrtümer, können sie heute als absichtlich eingestuft werden (zum Beispiel bei der Länge der Vokale). Singbare Übersetzungen auf Englisch (Rodney Blumer) und Deutsch (Eberhard Schmidt) sind dem Tschechischen unterlegt.
Die Erstausgabe des Klavierauszugs von 1905 ist gut spielbar und entspricht Dvořáks Orchesterklang, enthält aber zahlreiche kleinere Abweichungen von der Partitur. Im neuen Klavierauszug von Petr Koronthály ist all dies angepasst.
Robert Simon
(Juli 2022 / Übersetzung: Johannes Mundry)