Klein, aber fein, das war die Uraufführung von Rameaus „Les Surprises de l’amour“ im November 1748 in Versailles. Das vielseitige Werk kann nun in dieser oder einer der späteren Pariser Fassungen auf der Basis der Rameau-Gesamtausgabe aufgeführt werden.
Die drei Fassungen der „Surprises de l'amour“
Das Ballett „Les Surprises de l'amour“ basiert auf einem Libretto des Dichters von „Castor et Pollux“ Gentil-Bernard und hat eine ziemlich komplexe Aufführungsgeschichte ̶ es gehört zu den nicht wenigen Werken Rameaus, die in zwei bzw. sogar drei Versionen vorliegen. Die erste, als Divertissement bezeichnete besteht aus dem Prolog „Le Retour d'Astrée“ und den beiden Akten „La Lyre enchantée“ und „Adonis“. Sie wurde anlässlich der Feierlichkeiten zum Ende des Österreichischen Erbfolgekriegs in Auftrag gegeben. Die Uraufführung fand im Théâtre des Petits Appartements der Marquise de Pompadour in Versailles statt. Die 1757 in Paris aufgeführte zweite Fassung steht nicht mehr in Beziehung zu dem ursächlichen politischen Ereignis, weshalb der Prolog gestrichen wurde; „Adonis“ wird zu „L'Enlèvement d'Adonis“ („Die Entführung des Adonis“) und ein neuer Eingangsakt, „Anacréon“, tritt hinzu. Im Zuge der Pariser Aufführungen nahm Rameau schließlich noch weitere Änderungen vor, bis 1758 eine neue Ausgabe von „La Lyre“ enchantée erschien und der aus dem 1753 in Fontainebleau uraufgeführten „Sibaris“ stammende Ballettakt „Les Sybarites“ hinzugefügt wurde.
Zum historischen Kontext der Versailler ersten Fassung
Nach achtjährigem internationalen Konflikt einigten sich die kriegsführenden Länder auf die Beendigung des Österreichischen Erbfolgekriegs. Die verfeindeten Nationen, allen voran Frankreich und England, hatten ab dem 24. April 1748 die Bedingungen des Vertrags von Aachen ausgehandelt, der nach fünfmonatigen Verhandlungen am 18. Oktober 1748 unterzeichnet wurde. Während Frankreich die bescheidene Stadt Louisbourg in Neuengland zurückerhielt, verzichtete es zugunsten von Preußen auf die südlichen Niederlande, deren Eroberung seine Truppen mit dem Verlust Tausender Menschen bezahlt hatten. Obwohl Ludwig XV. und seine Berater für Frankreich also eher nur Brosamen erreichten, präsentierte man den Friedensschluss dem Volk als den schmeichelhaften Sieg seines Herrschers. Rameau wird um eine „Friedensoper“ gebeten, „Naïs“ entsteht auf ein Libretto von Louis de Cahusac und wird in Paris aufgeführt. Am Hof selbst scheint zunächst nichts geplant zu sein, doch die Marquise de Pompadour nutzt die Gelegenheit, um ihrem Monarchen öffentlich ihre Bewunderung und Liebe zu bezeigen. Am 27. November 1748 wurden zur Einweihung des neu eingerichteten Théâtre des Petits Appartements die „Surprises de l’amour“ uraufgeführt. Das sogenannte Théâtre des Cabinets war nunmehr in der Lage, größere Aufführungen zu veranstalten und ein Publikum von etwa hundert Personen zu empfangen. Zu diesem wichtigen Anlass kehrten die Musiker des Königs am 8. November 1748 eigens für die erste Probe aus Fontainebleau zurück, während die Marquise de Pompadour und ihre Freunde ̶ die Herzogin von Brancas, der Herzog von Ayen, der Marquis de La Salle, Madame de Marchais und der Vicomte de Rohan ̶ die Gesangspartien bestritten. Einige der Adligen wie die Marquise von Courtanvaux und Langeron übernahmen auch Rollen als Tänzer, und im Orchester musizierten der Prinz von Dombes und der Marquis von Sourches mit.
Die Besonderheiten der Versailler Fassung
In der ersten Fassung galt es also, sowohl den begrenzten Raum des Theaters der Pompadour, vor allem aber auch das Niveau des Ensembles zu berücksichtigen. Zwar bestanden Chor und Orchester größtenteils aus Profis, doch die Gesangssolisten waren allesamt Amateure, es waren enge Vertraute der Marquise, die die Rollen der Uranie in „La Lyre enchantée“ und der Venus in „Adonis“ übernahmen. Von den Freunden der Pompadour beherrschte niemand die hohe Stimmlage eines Haute-contre, weshalb diese komplett fehlt. Dies ist übrigens die einzige Oper Rameaus, in der dieses Stimmregister keine Verwendung findet. Im Orchester gab es keine Violen (Hautes-contre bzw. Tailles de violons), sondern zwei Gamben, die die sieben Violoncelli verstärkten. Im übrigen Orchester passte sich die Besetzung der intimen Zusammensetzung der Truppe der Pompadour an, indem sie lediglich zwei Flöten, zwei Oboen, aber drei Fagotte erfordert, von denen ein Pult der Prinz von Dombes besetzte. Die bei Rameau stets schwierigen Violinstimmen übernahmen professionelle Musiker, die der Académie royale de musique oder der Musique du roi angehörten. Und die Trompetenstimme übernahm François-Placide Caraffe, ein Oboist der Oper und ab 1749 offizieller Trompeter der Musique du roi.
Für die Pariser Fassung änderte Rameau diese Besonderheiten und besetzte die männlichen Partien des Adonis und Linus nicht mehr als Bass, sondern Adonis als Sopran (als Hosenrolle) und Linus als hohen Tenor (Haute-contre). Außerdem passte er insbesondere durch die Verwendung von Bratschen das Orchester der Besetzung der Pariser Oper an. Die Neuausgabe sieht daher auch in den Versailler Teilen, die in die Pariser Fassung übernommen wurden, optional Bratschenstimmen vor.
Adonis
In „Adonis“ entwickelt der Librettist die legendäre heftige Auseinandersetzung zwischen Venus und Diana als These und Antithese der Liebe. Die beiden Göttinnen streiten um die Zuneigung des schönen jungen Adonis, die eine (Venus) führt ihn in Versuchung, indem sie sich ihm entzieht, während die andere (Diana) ihn unter ihren Einfluss zu bringen sucht. Venus gelingt es recht mühelos, den Jüngling zu manipulieren und zu verführen, und die Oper feiert diesen Sieg der Liebe.
Die Ouvertüre folgt, vielleicht um den italienischen Geschmack der Marquise de Pompadour zu treffen, dem Schema einer italienischen Sinfonia und besteht aus einem lebhaften Satz, einem Menuett und einem Rondeau. Die vielen einfachen Rezitative, die Rameau seit „La Princesse de Navarre“ (1745) aus seinem kompositorischen Kosmos eher verbannt hatte, überraschen und verleihen dem Akt „Adonis“ seine intime Farbe. Für die szenische Darstellung eignet sich das Textbuch in besonderem Maße und zeichnet einen arglos-naiven jungen Mann, einen Vorgänger von Mozarts Cherubino in „Le nozze di Figaro“, den Rameau aber als einen Bass besetzt. Die musikalisch-sängerische Textur der ersten drei Szenen ist sehr aufgelockert. Die vierte Szene dann entwickelt die Jagd, die Diana auf Adonis macht, und birgt einen interessanten Farb- und Stilkontrast, den Rameau übrigens leicht überarbeitet in der Pariser Fassung wieder aufnimmt. Bevor Diana den Sieg der Liebe akzeptiert, verleiht sie ihrer Wut Ausdruck: „Jupiter, prends-tu sa défense“ („Jupiter, übernimm du ihre Verteidigung“), wobei die so stolze wie bedrohliche Melodie von berauschenden Harmonien unruhig begleitet wird. Rameau vertraut der Venus eine ziemlich schwierige Ariette an („Vole Amour, prête-moi tes armes“), was ein Beweis dafür ist, dass die Marquise über eine gute Gesangstechnik verfügte. Der Schlusschor „Chantons l'Amour et sa conquête“ ist (wie in „Platée“) als Contredanse gestaltet, doch in heiter-strahlender Atmosphäre.
Die von György Vashegyi realisierte Konzertfassung stellt einen wichtigen Schritt zur Rehabilitierung der verkannten bzw. unbekannten Werke Rameaus dar. Der ungarische Dirigent ist seit vielen Jahren ein ergebener Diener Rameaus und wird sich auf unsere Neuausgabe stützen, die die Versailler Fassung in ihrer ganzen Einzigartigkeit wiedergibt.
Sylvie Bouissou
(Übersetzung: Annette Thein)