Eine deutsche Oper aus dem Geiste des Kosmopolitismus, das ist die 1827 in Berlin uraufgeführte Oper „Agnes von Hohenstaufen“ von Gaspare Spontini. Nun nimmt sich das Theater Erfurt des spektakulären Werks an.
Es wird ein besonderer Termin für Opernliebhaber werden: der 1. Juni 2018. Am Erfurter Theater wird dann eine Oper aufgeführt, die zwar kulturgeschichtlich und musikwissenschaftlich zu den spannendsten Werken des 19. Jahrhunderts gehört, die zugleich aber mit dem Anspruch, den das Werk schon im 19. Jahrhundert verfolgte, eines der schwierigsten und komplexesten Stücke der Operngeschichte sein dürfte. Kurz zusammenfassen lässt sich das so: Agnes von Hohenstaufen ist als eine Art preußische Nationaloper, komponiert von einem Franzosen mit italienischem Namen, ein sonderbarer aber spannender Fall. Gaspare Spontini, der diese Oper komponierte, droht die Gattung zu sprengen und verweist mit seinen musikdramatischen Lösungen doch auch zugleich in die Zukunft.
Der 1774 in Maiolati in Italien geborene Gaspare Spontini war 1820 vom Preußischen König Friedrich Wilhelm III. nach Berlin als Generalmusikdirektor engagiert worden. Er war eine Persönlichkeit, deren Name in ganz Europa bekannt war. Vor allem wegen der beiden großen Opern, die er im napoleonischen Paris komponiert hatte: La Vestale und Fernand Cortez hatten schnell nach ihren Premieren 1807 und 1809 Weltruhm erlangt. Für Berlin überarbeitete er seine Pariser Werke, komponierte aber auch neue Stücke für die Hofoper. Dies war ihm zwar nicht in dem Maße möglich, wie es sein Vertrag vorsah, aber mit Lalla Rûkh, Nurmahal und Alcidor legte er bis 1825 drei Werke vor. Als Dirigent und Orchesterleiter der Berliner Hofkapelle wurde er berühmt für die künstlerisch auf einem hohen Niveau stehenden Aufführungen der eigenen Werke, der Opern Glucks und Mozarts sowie einiger Werke Beethovens. Mit Agnes von Hohenstaufen, die in erster Fassung 1827 Premiere hatte und in weiteren Fassungen 1829 und 1837 zur Aufführung kam, befasste er sich bis fast zum Ende seiner Berliner Zeit. Um 1840 spitzten sich die Auseinandersetzungen um seine Person zu, der 1841 die Entlassung aus dem Dienst folgte. Über Paris siedelte er schließlich in seine italienische Heimat über, wo er 1851 in Maiolati starb.
Mit seinem Opus Magnum Agnes von Hohenstaufen komponierte Spontini eine deutsche Oper aus dem Geiste des Kosmopolitismus. In der im Mittelalter an Schauplätzen am Rhein angesiedelten Oper steht der Konflikt zwischen den Welfen mit den Staufern im Mittelpunkt, wie er an die Orte und die Zeit geknüpft ist, welche die historische Überlieferung bereitstellte. Nicht anders als bei Meyerbeers Les Huguenots von 1836 konstruiert die Handlung ihre eigene Geschichtlichkeit. Das heißt, sie passt die Überlieferung an die aktuellen Gegebenheiten an, da sie operntauglich und politisch korrekt sein mussten. Die Abfederung und die Vergewisserung dieser mit Bedeutung aufgeladenen Vergangenheit in einem theatralen, d. h. visuell-musikalisch und sinnlichen Vollzug war von Anfang an ein wichtiger Gedanke bei der Konzeption dieser Geschichtsoper. Das auf verschiedene Autoren zurückgehende Libretto siedelt die Handlung ausdrücklich im Jahr 1194 an. Und die Orte, an denen die Oper spielt, avancierten zu so etwas wie den Protagonisten der Dramaturgie: der Rhein mit seinen Burgen, die Stadt Mainz mit ihren mittelalterlichen Kirchen als Außenschauplätze sowie die Innenansichten der Burg und der Klosterkirche.
Die Handlung
1. Akt: Die deutschen Ritter und Fürsten bereiten sich auf einen Kriegszug gegen Sizilien vor. Kaiser Heinrich VI.
von Hohenstaufen erneuert die Reichsacht gegen den Sohn Heinrichs des Löwen, seines Erzfeindes. Heinrich der Jüngere befindet sich in französischer Gefangenschaft. Er ist der Geliebte der kaiserlichen Tochter Agnes von Hohenstaufen. Ihre Mutter Irmengard bittet um Gnade für ihn. Der Kaiser aber will Agnes dem französischen König zur Frau geben. Maskiert hat sich der entflohene Heinrich dem Hof genähert und erfährt von seinem Freund Philipp von Hohenstaufen von dem Heiratsbeschluss. Philipp arrangiert ein Treffen für Agnes und Heinrich. Bei den Vorbereitungen für ein Hoffest, zu dem die Fürsten zu Ehren des französischen Gesandten eingeladen sind, wird vor einem Angriff der Truppen Heinrichs des Löwen gewarnt. Das Fest beginnt mit der Ankündigung Heinrichs VI., dass Agnes den französischen König heiraten soll. Es mündet in einen allgemeinen Tanz, an dem auch die beiden Rivalen um Agnes teilnehmen: Heinrich in Maskierung und Philipp August inkognito als sein eigener Gesandter. Heinrich wird demaskiert und entkommt dem Todesurteil nur knapp.
2. Akt: Der Konflikt zwischen dem mittlerweile gefangenen Heinrich und Philipp August soll in einem Zweikampf ausgetragen werden. Heinrich flieht. Um Trost im Gebet zu finden, hat Agnes sich in eine Klosterkirche begeben, wo sie bald auf Heinrich trifft. Irmengard initiiert eine heimliche Trauung durch den Erzbischof von Mainz. Philipp August mit seinen Männern ist Heinrich gefolgt. Zugleich strömt Volk in die Kirche, um Schutz vor einem Unwetter zu finden. Ein offener Kampf zwischen den verfeindeten Gruppen droht auszubrechen, den der Erzbischof aber letztlich verhindert.
3. Akt: Heinrich und Agnes drängen zur Flucht. Sie werden jedoch aufgegriffen, und Heinrich soll sich dem Zweikampf mit Philipp August stellen, aus welchem er siegreich hervorgeht. Um dem Tod zu entkommen, gibt sich Philipp August nun als der französische König zu erkennen. Irmengard berichtet, dass Agnes bereits mit Heinrich verheiratet sei. Die Wut des Kaisers regt den Widerspruch der Fürsten hervor, so dass eine offene Auseinandersetzung droht. Ein unbekannter schwarzer Ritter aber vereitelt dies. Es ist Heinrich der Löwe, dessen Truppen schon am Rhein lagern und dem Kaiser die Machtgrundlage entzogen haben. Heinrich der Löwe und Heinrich der Jüngere aber bestehen nicht auf dem Sieg, sondern bieten dem Kaiser die Freundschaft an.
Für Agnes und ihre Premiere 1827 war die erste Riege preußischer Künstler angetreten: Die Musik stammte vom Generalmusikdirektor, Karl Friedrich Schinkel entwarf die Bühnenbilder und Carl Graf von Brühl die Kostümbilder. Das Theater war mit dieser Geschichtsoper als einer Art Bildungsinstitution mit Potenzial für nationale Identifizierungsprozesse konstruiert. Mit Agnes von Hohenstaufen entstanden bewegte Historienbilder, die in der zeitlichen Dehnung der musikalischen und theatralen Fassung Unmittelbarkeit für sich beanspruchen und sie zu Instrumenten für erlebbare Geschichte ausweisen.
Das Visuelle ist bei Spontini in die Musik einkomponiert. Das Bild fungiert als musikalische Einheit und liefert als Bühnenbild Spontini die Rahmung der Komposition. Selbstverständlich handelt es sich bei Agnes von Hohenstaufen um eine durchkomponierte Oper, für die Spontini in Teilen aber das Prinzip der Nummernoper aufgibt und er die Szene als die maßgebliche musikdramaturgische Einheit in das Zentrum stellt, wo Wagner anknüpfen kann.
Spontinis Musik ist von einem neuen Monumentalismus geprägt, der sich einerseits auf das Formale und andererseits auf das Klangliche bezieht. Der Komponist wertet das Rezitativ auf und entwertet die Arie als solistische Form. Der Weitung der Form entspricht die Raffinesse der Vielfalt der Farben, die dem Ideal des Mischklangs folgen.
Schon zu Spontinis und Schinkels Zeiten wurde Agnes von Hohenstaufen nur 19 Mal aufgeführt. Jetzt endlich ist es soweit: Die erste Aufführung der deutschsprachigen Originalfassung seit 1840 auf Grundlage der Neuedition von 2001, die Jens Wildgruber erstellte, wird es in Erfurt geben. Gerahmt wird die Premiere am 1. Juni von einer Konferenz zu Spontini.
Anno Mungen
(aus [t]akte 1/2018)