Die Neue Anton Bruckner Gesamtausgabe schreitet nach dem Gedenkjahr voran: mit dem ausgeschiedenen Adagio der Achten und der ersten Fassung der Vierten.
Ein erfolgreiches Bruckner-Jahr 2024 liegt hinter uns, und die erfreulich starke Nachfrage belegt ein gesteigertes Interesse an den Werken dieses musikalischen Jahresregenten, der zu Lebzeiten lange um die Anerkennung seines symphonischen Œuvres kämpfen musste.
Das Jubiläumsjahr war auch abseits der Konzertprogramme durch zahlreiche Veranstaltungen geprägt. Insbesondere mehrere wissenschaftliche Tagungen gaben der internationalen Forschungsgemeinschaft die Gelegenheit zum Austausch und erbrachten neue Impulse, die nicht zuletzt in die Neue Anton Bruckner Gesamtausgabe einfließen werden.
Derzeit sind in dieser Reihe mehrere Bände in Vorbereitung. Vor allem auf zwei Novitäten sei hingewiesen, die sich von bisher Bekanntem besonders abheben:
Als jüngste Publikation ist das ausgeschiedene Adagio von 1887–1889 zur 8. Symphonie, vorgelegt von Paul Hawkshaw, als Separatband im Druck erschienen. Dieser Satz, der teilweise auch unter der Bezeichnung „Zwischen-Adagio“ geläufig ist, stellt ein durchaus beachtenswertes Übergangsstadium zwischen 1. und 2. Fassung der Achten dar. Bruckner arbeitete diesen Satz um, nachdem er im Oktober 1887 erfahren hatte, dass Hermann Levi seine Erstfassung der Achten nicht aufführen würde.
Die Edition versteht sich als Ergänzung zu der bereits im Druck erschienenen 1. Fassung der Achten und der in Vorbereitung befindlichen 2. Fassung und wird nun erstmals im Rahmen der Gesamtausgabe veröffentlicht. Ein mit dieser Ausgabe abgestimmtes Orchestermaterial ermöglicht es, diesen Satz auch im Konzertsaal zu erleben.
Als nächster Band wird die 1. Fassung der 4. Symphonie erscheinen. Sie entstand 1874 und wurde von Bruckner in den folgenden zwei Jahren mit der Aussicht auf eine Aufführung, die letztlich nicht zustande kam, überarbeitet. Erst ein Jahrhundert später (1975) wurde diese Erstfassung, ediert von Leopold Nowak, in der Gesamtausgabe veröffentlicht, wobei hier die Erstschrift von 1874, in die jedoch bereits einige spätere Änderungen eingeflossen waren, als Vorlage diente und somit eigentlich ein Zwischenstadium aus den Jahren zwischen 1874 und 1876 darstellt.
Da der Originaltext von 1874 aufgrund der erwähnten Revisionen nicht mehr vollständig nachvollziehbar ist, hat der auf die Vierte spezialisierte Bruckner-Forscher Benjamin M. Korstvedt für seine Edition eine aktualisierte Bewertung der Quellen vorgenommen und nicht der Erstschrift, sondern dem Letztstand der Revision von 1876 als Basis für seine Ausgabe den Vorzug gegeben. Deshalb weicht die Neuausgabe in etlichen Passagen erheblich von der bisher bekannten Ausgabe ab. Zu den Überarbeitungen, die Bruckner vornahm, als er die Partitur für eine Aufführung vorbereitete, zählen Verfeinerungen der Vortragsangaben sowie Verbesserungen in der Instrumentation, wie etwa am Schluss des Trios, in dem der Orchesterpart durch die Einbeziehung zusätzlicher Horn- und Posaunenstimmen angereichert wird.
Außerdem wurden im Zuge einer metrischen Überarbeitung einzelne Takte gestrichen oder eingefügt, im Scherzo etwa die Pausen nach den Hornruf-Motiven.
Die von Korstvedt edierte Partitur unterscheidet sich also stellenweise durchaus hörbar von der bisher bekannten Ausgabe und wurde bereits von den Bamberger Symphonikern unter der Leitung von Jakub Hrůša bei Accentus eingespielt.
Zuletzt sei für das aktuelle Jahr noch auf eine organisatorische Neuerung hingewiesen: Die seit Jahrzehnten bestehende fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Musikwissenschaftlichen Verlag und der Alkor-Edition wurde nun weiter intensiviert, indem seit Anfang Juli auch das Leihmaterial für Österreich aus Kassel erhältlich ist.
Angela Pachovsky
(aus [t]akte 2/2025)



