Trotz zahlreicher Aufnahmen ist das 1880/1881 entstandene Septett Es-Dur op. 65 für Klavier, Trompete und Streichquintett von Camille Saint-Saëns wegen seiner ungewöhnlichen Besetzung – ähnlich wie das Es-Dur-Septett op. 20 von Beethoven – heute eher eine kammermusikalische Rarität. Aber ist es überhaupt „Kammermusik“? Schon die Uraufführung durch den Widmungsträger Émile Lemoine und seine Konzertvereinigung „La Trompette“ präsentierte das neoklassizistische Werk am 11. Februar 1881 mit verdoppeltem Streichquartett, und auch in den Folgejahren wurde es immer wieder in großer Streicherbesetzung aufgeführt – ganz im Sinne des Komponisten, wie sich Lemoine erinnerte: „Nach Meinung des Komponisten kommt es besser zur Geltung, wenn das Streichquartett verdoppelt wird! Sehr schön klingt es auch mit [Streich-]Orchester, wie ich es einmal in den Concerts Colonne gehört habe.“ Und noch in seinem Todesjahr 1921 schrieb Saint-Saëns (an einen uns unbekannten Adressaten): „Da sie in Forges-les-Eaux ein Orchester haben, wäre es sehr viel besser gewesen, wenn sie mein Septuor mit allen Streichern gegeben hätten; in einem großen Saal macht das sehr viel mehr her.“ Diese Tradition, das Werk als „Doppelkonzert“ für Trompete, Klavier und Streichorchester aufzuführen, ist leider in den letzten 100 Jahren völlig verloren gegangen – was umso erstaunlicher scheint, als es ein berühmtes und viel gespieltes Werk in genau derselben Besetzung gibt: das Konzert Nr. 1 c-Moll op. 35 für Klavier, Trompete und Streichorchester op. 35 (1933) von Dmitri Schostakowitsch!
Vielleicht lag es ja daran, dass es bisher keine adäquate Ausgabe des Saint-Saëns-Septetts gab – was sich nun geändert hat: Die Edition der Partitur und der Stimmen – herausgegeben von der Saint-Saëns-Forscherin Sabina Teller Ratner als Einzelausgabe der Œuvres instrumentales complètes – bietet sich ab sofort allen Trompetern, Pianisten und Dirigenten an, mit dem Schostakowitsch-Konzert gekoppelt zu werden. Man darf gespannt sein, wer diese reizvolle Idee als erster aufgreift und umsetzt.
Michael Stegemann
(aus [t]akte 1/2025)