Gabriel Fauré sei ein widerwilliger und erfolgloser Orchesterkomponist gewesen, so wird immer wieder vorgebracht. Es lässt sich in der Tat nicht leugnen, dass Fauré nicht so sehr von den sinfonischen Klangfarben besessen scheint. Und doch …
In seiner Biografie Gabriel Fauré, „Les voix du clair-obscur" (dt. Übersetzung als „Fauré. Seine Musik. Sein Leben“, Bärenreiter 2013) betont Jean-Michel Nectoux, dass Fauré seine Karriere als Orchesterkomponist eigener Werke bereits während seiner Studienzeit begann: „Super flumina Babylonis“ (N 6) zum Beispiel, eine Vertonung des Psalms 137 aus dem Jahr 1863, enthält fantasievolle Passagen für alle Gruppen des Orchesters (2024 in den „Œuvres complètes“). Seine Ausbildung an der École Niedermeyer ab 1854 widmete sich in erster Linie dem Studium der Kirchenmusik und der Unterrichtung von Organisten, doch besuchte der junge Gabriel auch Kurse in Instrumentation bei Gustave Lefèvre, dem Direktor der Schule. Einige von Faurés frühen Orchesterkompositionen, wie das Violinkonzert op. 14 (N 47) und die Symphonie F-Dur op. 20 (N 57), blieben unvollendet, wohl auch weil sich seine Orchestertechnik noch in einem unausgereiften Entwicklungsstadium befand – sein Lehrer Camille Saint-Saëns wird seinen Schützling ermutigt haben. Jedenfalls blieb Faurés Wunsch, für Orchester zu komponieren, sein Leben lang bestehen; doch betrachtete er die Aufgabe des Instrumentierens eher als eine Folge des Kompositionsprozesses und nicht als dessen integralen Bestandteil.
Anhaltspunkte zu Faurés Herangehensweise an die Klangfarben des Orchesters finden sich in seinen Schriften. Die zunehmende Hervorhebung von Orchesterfarben und -effekten, wie sie sich in der Musik von Berlioz und später in den Partituren eines Dukas, Debussy und anderen abzeichnete, verfolgte er mit Argwohn, ganz zu schweigen von den revolutionären Klangwelten Strawinskys. Und tatsächlich konnte sein rein sinfonisches Schaffen nur wenige Erfolge ernten, und nach den wenig positiven Kritiken für die d-Moll-Symphonie op. 40 (N 86, offenbar verloren) brach es ab. Doch ist es sicher nicht so, dass er am Orchester kein Interesse mehr hatte – die Anreize dafür erhielt er aber zunehmend von außermusikalischen Ereignissen.
Zwei von Faurés bekanntesten Werken zeigen gefestigte Sicherheit im Umgang mit dem Orchesterklang: die „Pavane“ op. 50 (N 100) und das Requiem op. 48 (N 97), die in Teilen auf das Jahr 1887 zurückgehen und später durch zusätzliche Sätze und Instrumente erweitert wurden. Die Leichtigkeit des Kolorits und die Klarheit der Textur der Pavane sind ein Beweis dafür, dass sein Orchesterstil erwachsen geworden war. Im Requiem in seiner ursprünglichen, fünfsätzigen Konzeption traf Fauré gerade hinsichtlich des Orchesters subtile Entscheidungen, die erheblich zur anhaltenden Wertschätzung des Werks beitrugen, etwa durch Weglassen der Violinen (abgesehen von einer Solo-Violine) im Klangbild. Von diesem Zeitpunkt an können wir von einem fauréschen Orchesterstil sprechen, der im Gegensatz zu etlichen späteren Kommentaren von Farbigkeit, klang-licher Subtilität und Aufmerksamkeit gegenüber Fragen der Textur geprägt ist.
Die drei großen Bühnenmusiken „Caligula“ (1888), „Shylock“ (1889) und „Pelléas et Mélisande“ (1898) sind von den dramatischen Möglichkeiten des Theaters inspiriert, doch feierten sie ihre Erfolge vor allem in Form von Orchestersuiten (1888, 1890 bzw. 1900). Man denke nur an den fantasievollen Einsatz von Harfe, Holzbläsern und Pizzicato-Streichern in „Air de danse“ aus „Caligula“ oder die düstere, einschläfernde Atmosphäre des Schlusssatzes, wenn der Kaiser vor seiner Ermordung in den Schlaf gewiegt wird. Auf Faurés ursprüngliche Bühnenmusiken folgten jeweils instrumentale Überarbeitungen mit einer Erweiterung der Klangpalette; in jeder der Orchestersuiten verfeinerte er sein Werk. In Shylock erreichte er die Intensität des Ausdrucks im be-rühmten „Nocturne“ durch mehrschichtige Streicher unter einer Solo-Violine (eine Inspiration aus dem Requiem?), und das Finale dieser Suite entwickelt die Ausgewogenheit und Klarheit weiter, die bereits im früheren „Air de danse“ zu finden war: Die Bühnenmusik zu „Pelléas et Mélisande“ orchestrierte bekanntermaßen Charles Kœchlin unter Faurés Aufsicht, ähnlich wie Debussy André Caplet für viele seiner Orchestersuiten engagierte. Bei der Vorbereitung der Orchestersuite nahm Fauré jedoch zahlreiche Änderungen an der Orchestrierung vor und erweiterte die ursprüngliche Kammermusikbesetzung auf nahezu symphonische Ausmaße – ein zusätzlicher Beweis für Faurés Interesse an orchestraler Farbe und Ausgewogenheit – wenn es denn nötig wäre.
Neben den symphonischen Bühnenmusiken orchestrierte Fauré zwischen 1880 und 1900 auch eine beträchtliche Anzahl seiner anderen Werke, darunter die „Ballade“ op. 19 (N 56), „La Naissance de Vénus“ op. 29 (N 72), „Madrigal“ op. 35 (N 78, beide in BA 9473-01), mehrere „Mélodies“ und „La Passion“ (N 109). In diesen Jahren war immer eine Orchesterpartitur in der Nähe; im Jahr 1900 dann stellte ihn sein größtes musikalisches Projekt, Prométhée vor instrumentale Herausforderungen, für die er die Dienste eines Experten für Militärmusik benötigte, da die Partitur drei Blasorchester vorsah. Wie 1899 Camille Saint-Saëns für seinen „Déjanire“ zog auch Fauré Charles Eustache, den Chef der Militärmusik in Montpellier, hinzu, um die Musik für die Blaskapellen zu setzen. Erst daraufhin begann der Komponist mit der Bearbeitung der umfangreichen Partitur für Symphonieorchester, übergab diese Aufgabe aber schließlich seinem Lieblingsschüler Jean Roger-Ducasse, der unter seiner Aufsicht eine Partitur schuf, mit der Fauré sehr einverstanden war.
Sein Opernhauptwerk „Pénélope“ (N 174) orchestrierte Fauré (entgegen gegensätzlichen Ansichten) zum größten Teil selbst, und es gibt Hinweise darauf, dass er daran große Freude hatte. Er orchestrierte abschnittsweise, zum Beispiel stellte er das Vorspiel (des ersten vollendeten Teils der Oper) fertig, während der zweite Akt noch entworfen wurde. Im August 1908 schrieb er aus Lugano an seine Frau Marie: „Jetzt, wo das Vorspiel fertig ist, setze ich diese angenehme Orchestrierungsarbeit fort und habe mit der Arbeit an der ersten Szene begonnen. Sechs Seiten sind fertig.“ Dass Fauré die Arbeit an der Orchestrierung der Oper sehr ernst nahm, darüber berichtet auch sein Sohn Philippe: 1912 habe Fauré, unzufrieden mit seiner frühen Arbeit, die ersten 50 Seiten seiner ursprünglich 1910 fertiggestellten Partitur neu orchestriert.
Von seinen frühesten Versuchen mit Orchester bis zu seinem letzten Orchesterwerk, der „Pastorale“ aus der Suite „Masques et Bergamasques“ op. 112 (N 185b), erweist Fauré sich als vollendeter Instrumentator, dabei stets seinem künstlerischen Credo folgend: der Vermeidung oberflächlicher Effekte sowie der Konzentration auf den Ausdruck des emotionalen Kerns seiner Musik. Jean-Michel Nectoux: „Der Hauptgrund für Faurés zurückhaltenden Orchestrierungsstil liegt darin, dass er seine künstlerischen Ziele widerspiegelt: die erhabensten Gefühle mit den einfachsten Mitteln auszudrücken.“
Robin Tait
(aus „[t]akte“ 2023 – Übersetzung: Annette Thein)