2024 gedenkt die Musikwelt des 200. Geburtstages von Bedřich Smetana (1824–1884), und in diesem Jahr veröffentlicht Bärenreiter Praha eine neue Urtextausgabe des kompletten Zyklus „Má vlast“ (Mein Vaterland). Damit wird die Neuausgabe von Smetanas ikonischem Zyklus abgeschlossen.
Bedřich Smetana gilt als der Begründer der tschechischen Nationalmusik. Neben seinen acht vollendeten Opern bilden seine sinfonischen Dichtungen einen wesentlichen Teil seines Vermächtnisses und sind wichtige Beiträge zur sinfonischen Musik. Am bekanntesten ist der Zyklus der sechs sinfonischen Dichtungen „Má vlast“, der von der tschechischen Landschaft und Themen aus der tschechischen Legende und Geschichte inspiriert ist. Der Zyklus wurde schrittweise zwischen 1874 und 1879 komponiert. Smetana begann mit der Arbeit an diesem großen Projekt im Jahr 1874, genau zu dem Zeitpunkt, als er an Taubheit erkrankte. Trotz des großen Leidensdrucks komponierte er die ersten beiden symphonischen Dichtungen „Vyšehrad“ und „Die Moldau“ sehr schnell, und die nächsten beiden, „Šárka“ und „Aus Böhmens Hain und Flur“, folgten 1875. Vier Jahre später vollendete er die letzten beiden Teile („Tábor“ und „Blaník“). Die Uraufführung von „Má vlast“ als sechsteiligem sinfonischem Zyklus fand am 5. November 1882 statt. Mit der Gründung der Tschechischen Philharmonie im Jahr 1896 wurde das Werk einem weitaus größeren Publikum zugänglich gemacht.
Erst nach der Fertigstellung des letzten Paares wurden die einzelnen Stücke im Verlag von F. A. Urbánek veröffentlicht, zunächst in der vom Komponisten erstellten vierhändigen Klavierbearbeitung und später in Orchesterform. In den 1950er-Jahren erschien das Werk in der Tschechoslowakei in einer Aufführungsausgabe von František Bartoš, die jedoch nicht vollständig mit den erhaltenen Aufführungsmateriale übereinstimmte. Mit der Jahrtausendwende war die Zeit reif für eine neue Ausgabe, die Quellen neu auswertet, neue philologische Ansätze berücksichtigt und die Aufführung des Werkes optimal ermöglicht. Bärenreiter Praha wandte sich an den erfahrenen Herausgeber Hugh Macdonald, um diese Aufgabe zu übernehmen.
Die Neuausgabe von Smetanas „Má vlast“ war für ihn eine große Herausforderung: „Wie wir von Beethoven wissen, kann Taubheit das innere Gehör eines Komponisten schärfen, und es ist klar, dass auch Smetana in seinen späten Jahren eine neue Vertrautheit mit seiner eigenen Musik empfand. Er war immer ein sorgfältiger Komponist, daher sind seine Manuskripte lesbar und vollständig. Wenn man ihm einen Vorwurf machen kann, dann den, dass er seine Musik mit so vielen Ausdruckszeichen versah, dass es für den Herausgeber und den Interpreten manchmal schwierig ist, den Unterschied zwischen den vielen Arten von Staccato-, Marcato-, Tenuto-Angaben etc. zu deuten, die oft in Kombination auf ein und dieselbe Note angewendet werden. In Smetanas Manuskripten gibt es fast keine Note, die nicht mit irgendeiner Art von Ausdruckszeichen versehen ist, so dass die Aufgabe des Herausgebers darin besteht, sie zu unterscheiden und wiederzugeben, und die Aufgabe des Interpreten, sie zu interpretieren.“
Urbáneks Ausgabe der sinfonischen Dichtungen ist wertvoll, weil die veröffentlichten Partituren und Orchesterstimmen einiger Abschnitte von Smetana selbst korrigiert wurden. Diese Erstausgabe enthält jedoch auch viele Druckfehler, so dass Hugh Macdonald in erster Linie mit dem Autograph arbeitete, das er zusammen mit der Erstausgabe und der eigenen vierhändigen Klavierfassung des Komponisten durchgesehen hat, um die neue Urtextausgabe zu erstellen. Darin werden alle Unstimmigkeiten zwischen den Quellen in einem kritischen Bericht dargelegt, der auch Erläuterungen zu den Lösungen des Herausgebers enthält. Ergänzt wird die Ausgabe durch ein ausführliches Vorwort zur Entstehung und Rezeption von der führenden Smetana-Forscherin Olga Mojžíšová.
Eva Velická
(aus [t]akte 1/2024)