Ausufernde Üppigkeit ist seine Sache nicht. Die Reduktion auf das Wesentliche ist eher Osvaldo Coluccinos Maxime. Ein Porträt des Komponisten, der spät zum Komponieren kam, nachdem er in der Literatur seines Heimatlandes bereits einen bekannten Namen hatte.
Osvaldo Coluccino (* 1963) bezeichnet Absum, eine elektroakustische Komposition aus dem Jahr 1999, als sein erstes Werk oder auch Quale velo (2000/01) für Ensemble. Das bedeutet jedoch nicht, dass er erst im Alter von 36 Jahren begonnen hätte zu komponieren, sondern es ist die Konsequenz künstlerischer Entscheidungen, einer Suche, die in ihrem Verlauf einen Fall für sich darstellt. Von 1989 bis 2003 widmete sich Coluccino gänzlich der literarischen Arbeit, schrieb Gedichte, Prosa und Verstragödien, denen von Kritikern und Wissenschaftlern Interesse und Bewunderung entgegengebracht wurde. Bereits in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre begann er autodidaktisch, sich mit Musik zu beschäftigen und zu komponieren. Heute sieht er seine literarischen Erfahrungen als abgeschlossen an und ist ein Komponist, der keinen Grund sieht, sich an seine Frühwerke zu erinnern. Sein Werkkatalog enthält Kompositionen, deren eigenständige kompromisslose Ästhetik von Anfang an fertig ausgeprägt erscheint. Ein Weg zum Verständnis dieser plötzlich eingetretenen reifen Eigenständigkeit und extremen Strenge in Coluccinos Musik führt über die Beschäftigung mit seinem literarischen Schaffen. Zu einer solchen Perspektive lädt eine Beobachtung des Musikwissenschaftlers und Komponisten Ramón Montes de Oca ein, der anlässlich der Aufführung des Bläserquintetts Diffratta aria (2002) beim Festival Cervantino 2004 in Guanajato/Mexiko über Coluccino schrieb:
„Wenn man über die musikalische Ästhetik dieses wichtigen italienischen Künstlers spricht, muss man unbedingt auf seine bemerkenswerte dichterische Sprache verweisen, denn Osvaldo Coluccino war zunächst ein großartiger Dichter und hat sich danach in einen Komponisten herausragender neuer Musik verwandelt. Wir kennen das Interesse des Dichters für das Wort, das aus der Stille entspringt, und wir kennen ebenso das Interesse des Komponisten für die Stille, die sich aus dem Klang erhebt. Diesem intimen, vagen und kargen Klang, den der Künstler, abgeklärt wie ein Alchimist, in Reflexe aus Farben, Tonhöhen, Timbres, Wörtern und Stillen verwandelt, die ins Nichts zurückkehren.”
Coluccino schreibt äußerst ausgewogen, bedachtsam, konzentriert auf das Wesentliche und definiert präzise jedes Detail, so als ob von der Wahl jeder Tonhöhe, jedes Intervalls, jeder Klangfarbe das Gelingen des Ganzen abhinge. Die so definierten Klangobjekte sind in Stille eingesenkt, in einen statischen, geheimnisvollen Raum, in dem die Bewegung des Alltäglichen aufgehoben ist. Es überrascht nicht, dass er Maler schätzt, die Objekte darstellen, die von Stille umgeben sind: Piero della Francesca, Cézanne, Morandi. Es sind die angehaltene Zeit und der statische Raum, für die Coluccino mit dem späten Nono und mit Feldman verglichen worden ist. Mit diesem Vergleich treten jedoch die Unterschiede nur deutlicher hervor. Insbesondere gibt es keine Ähnlichkeiten zu den enorm gedehnten Tempi und dem Quasi-Minimalismus des späten Feldman, denn Coluccino behält stets die Kontrolle über seine Formverläufe, und Knappheit entsteht bei ihm aus einem Bedürfnis nach Konzentration auf das Wesentliche. Deshalb auch lotet er den Klang innerhalb eines dynamischen Bereiches aus, der nur sehr selten das Mezzopiano übersteigt, so dass magische Wirkungen entstehen, ein Effekt der alchimistischen Verwandlung seines ausgedünnten, ausgetrockneten Tonsatzes. Daraus entstehen verborgene Spannungen, festgehalten in einer Unbeweglichkeit, die jedoch unvorhersehbaren und unkonventionellen Formverläufen nicht im Wege steht. Manchmal spielen seine poetischen Titel auf diese Formen an. Ich denke beispielsweise an den Verlauf von Voce d’orlo (2006) oder an die Spreizung, die von der Kombination zweier Wörter suggeriert wird, die mit Geburt und Tod verbunden sind: Gamete stele (2007). Die Spreizung zwischen der Weichheit des Gallerts und der Härte des Steins drückt sich hier mit konzentrierter, jedoch anti-rhetorischer Dichte aus und führt zu einem sanfteren Ergebnis. Die Negation von Without Witness (2004) scheint schließlich nach dem Wesen des Klanges zu suchen und lädt den Komponisten ebenso wie den Hörer ein, loszulassen: das eigene Ego, die Schwere des Ichs.
Paolo Petazzi
(Übersetzung: Christine Anderson)
aus: takte 2/2008