In Oliver Leiths „Dream Horse“ (2018) für Sopran, Bass und Kammerorchester kollidieren das Herzliche und das Surreale. Der eklektische Text spiegelt die Bandbreite der Fantasie des in London lebenden Komponisten wider – abwechselnd süß und subversiv – und bezieht sich auf das John-Wayne-Western Musical „Riders of Destiny“ von 1923, auf eine Liste von Pferden mit dem Namen „Dream …“ und auf Wordsworths „The Tables Turned“; Thomas Adès hat das 15-minütige Werk beim Tanglewood Festival uraufgeführt. Taxa (2013), das kürzlich von Ilan Volkov und dem BBC Symphony Orchestra aufgenommen wurde, spiegelt ebenfalls seinen leise anarchischen Charakter wider; das Stück überlagert fünf expressive Haltungen von gemischten Instrumentengruppen – „Sustain“, „Echo“, „Flutter“, „Grind“, „Remnants“ – zu einem wimmelnden Ganzen, das auf einem Fragment von Bach basiert.
In der Zeitschrift „Tempo“ bezeichnete Caroline Potter Leiths Musik als „zufälliges Stillleben“, das „das Alltägliche seltsam und das Seltsame alltäglich macht“. „Honey Siren“ aus dem Jahr 2019 verwischt die Grenze zwischen alltäglichen nicht musikalischen und musikalischen Klängen – das 17-minütige Werk für Streicherensemble besteht aus drei Sätzen und evoziert heulende Sirenen, die sowohl fröhlich als auch beunruhigend klingen. Indem Leith Tonhöhen und Harmonien durch eine sorgfältig kalibrierte mikrotonale Unschärfe verdreht, schafft er eine Musik, die sowohl betörend und verlockend als auch klebrig und klaustrophobisch ist. „will o wisp“, ein viersätziges Werk, das gemeinsam vom Manchester Collective und dem Norwegian Chamber Orchestra in Auftrag gegeben wurde, ist auf andere Weise unheimlich und erinnert an Alphörner und einen Solo-Fiddler; das Stück basiert auf einer Volksmelodie ungewissen Ursprungs und „reißt sie irgendwie auseinander, als ob sie in einem Bottich mit irgendetwas zurückgelassen worden wäre“, sagt Leith.
Leiths „düstere und schöne“ Musik (The Guardian) wurde von der Royal Northern Sinfonia, der London Sinfonietta, dem Trio Catch und dem Explore Ensemble aufgeführt und war bei den BBC Proms, dem Tanglewood Music Centre, der Wigmore Hall, dem Festival von Aix, dem Transit Festival, den Darmstädter Ferienkursen, dem White Night Festival in Riga und der Liszt Academy (Budapest) zu hören.
Im April 2024 führt das Hallé-Orchester Leiths „Cartoon Sun“ auf – eine Uraufführung, die ebenfalls von Thomas Adès dirigiert wird. Das 14-minütige Werk verwendet gestimmte und ungestimmte Glocken in verschiedenen Größen und Formen – Kirchenglocken, Kuhglocken, Röhrenglocken und Schlittenglocken –, die aus einer unmerklichen Stille kommen und in strahlendem Sonnenschein enden.
Last Days
Am 6. Februar 2024 feierte Leiths Oper „Last Days“ mit dem LA Philharmonic unter der Leitung von Thomas Adès seine US-Premiere, nachdem es im Herbst 2022 im Linbury Theatre des Royal Opera House uraufgeführt worden war. Die Ersteinspielung erscheint im April 2024 bei Platoon.
Die 90-minütige Kammeroper mit einem Text von Matt Copson basiert auf dem Film von „Gus Van Sant“ aus dem Jahr 2005 über die Flucht eines Rockstars aus dem Entzug. In einer selbstzerstörerischen Spirale trifft er auf seinen Agenten, einen Superfan, Mitbewohner, ein Mormonenpaar, einen Privatdetektiv und einen Hausmeister. Die Schauspielerin Agathe Rousselle spielte die Sprechrolle des Blake – eine fast stumme, nuschelnde Figur in einer Welt, in der Müslischalen, Glasflaschen und DHL-Fahrer ihre eigene Musik haben. Auch hier spiegelt sich Leiths Faszination für das Alltägliche wider. In einem Interview mit der „New York Times“ sagte er, er wolle eine Oper darüber schreiben, „wie jemand seine Mülltonnen ausräumt“.
Die Partitur integriert aufgenommene und gefundene Klänge, wie z. B. eine Aufnahme eines Viehauktionators aus Montana, die Stimme von Blakes Agenten und ein „Sacred Harp“-Lied, das sich mit den Stimmen auf der Bühne und im Orchestergraben vermischt. Das Stück enthält die Aufnahme einer Arie im Stil des italienischen Verismo, die für die Indie-Pop-Sängerin Caroline Polachek geschrieben wurde und „herzzerreißend mit Nostalgie und Elegie aufgeladen ist“ (The Times). Die Uraufführung wurde von Copson und Anna Morrissey inszeniert, das Sounddesign stammt von Sound Intermedia. Der „Evening Standard“ schrieb: „verstimmt, aus den Angeln gehoben und unheimlich.“
Benjamin Poore (Faber Music)
(aus [t]akte 1/2024)