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Komplexer Zwölfton und populäre Filmmusik. Der Komponist Winfried Zillig

17.5.2026 Würzburg (Blaue Halle, Premiere)
Winfried Zillig: Rosse / Ruggero Leoncavallo: Pagliacci, Musikalische Leitung: Mark Rohde, Regie: Roman Hovenbitzer

Bühnenwerke von Winfried Zillig

Rosse. Oper in einem Akt. Libretto: Richard Billinger (1932)
Das Opfer. Oper in drei Teilen. Libretto: Reinhard Goering (1937)
Tanzsinfonie (1938)
Troilus und Cressida. Oper in drei Akten. Libretto: Winfried Zillig (1951/1958)
Die Bauernpassion. Ein Spiel (1955)
Die Verlobung in St. Domingo. Oper in einem Akt. Libretto: Winfried Zillig (1956)
Das Verlöbnis. Oper in einem Akt. Libretto: Richard Billinger (1963)

Die Werke Zilligs sind bei Bärenreiter erschienen. Leihmaterial ist über Bärenreiter · Alkor erhältlich. Orchester- und Kammermusik: s. www.baerenreiter.com/www.alkor-edition.de

Der Schönberg-Schüler Winfried Zillig führte Musikwelten zusammen. Sein umfangreiches Werk ist nicht vergessen. Es bietet vielfältige Chancen zur Integration in Musikprogramme heute. 

Wie entscheidet sich, ob ein Komponist in die Musikgeschichte eingeht oder sein Lebenswerk in die Vergessenheit entschwindet? Historiker stehen dieser Frage ein wenig ratlos gegenüber, denn es sind wohl einerseits individuelle Gründe, die über das Fortleben eines Komponisten in Wahrnehmung und Repertoire bestimmen, andererseits Gründe, die in den jeweiligen zeit- und musikgeschichtlichen Gegebenheiten und Strömungen liegen. Doch so wenig ein Vergessen bisweilen im Nachhinein nachvollziehbar ist, so wenig ist es irreversibel, wie zahlreiche Beispiele von Antonio Vivaldi über Johann Sebastian Bach bis Gustav Mahler zeigen, welche allesamt für das Musikleben und Repertoire einer späteren Zeit erst wiederentdeckt werden mussten.

Winfried Zillig (1905–1963), Schüler und Hoffnungsträger in Arnold Schönbergs Berliner Meisterklasse in den 1920er-Jahren, gibt für diese Frage ein interessantes, ja spannendes Beispiel ab. Zu Lebzeiten als Komponist und Dirigent sehr erfolgreich, ausgezeichnet und vielfach präsent, später hingegen nur noch Spezialisten ein Begriff, gelangt er gegenwärtig wieder ans Licht der Öffentlichkeit.

Dem zugleich strengen und wohlwollenden Blick seines Lehrers stellte sich Zillig schon 19-jährig erfolgreich mit seinem „Choralkonzert“ (auch „Osterkonzert“, 1924) und dem „Einsiedler“  für Chor und Orchester (1924) nach Joseph Eichendorff. Während seiner Zeit bei Arnold Schönberg entwickelte er sein eigenständiges Idiom weiter, indem er eine Synthese von zwölftönigen Strukturen mit rhythmischer und stilistischer Prägnanz seines zweiten Vorbilds, Igor Strawinsky, verwirklichte, zunächst im Bereich der Kammermusik. Bald wandte er sich auch wieder dem Schaffen für größere Besetzungen zu: Es entstanden unter anderem die „Ouvertüre für großes Orchester“ (1928), das „Konzert für Orchester in einem Satz“ (1930), seine „Chorfantasie für fünfstimmigen gemischten Chor und Orchester“ (1931) und erste Entwürfe zu seinem später vollendeten Konzert für Violoncello und Blasorchester (1952). Zeitgleich begann für Zillig eine erfolgreiche berufliche Laufbahn, zunächst am Theater. Anfangs Assistent Erich Kleibers an der Berliner Staatsoper, bald an der berühmten Oldenburger Aufführung von Alban Bergs Wozzeck beteiligt, wurde er schließlich Kapellmeister am Opernhaus in Düsseldorf. Als Dirigent etabliert, stand Zillig für Jahrzehnte sehr aktiv in der musikalischen Öffentlichkeit. Diese Verwurzelung in der musikalischen Praxis wirkte auf sein Schaffen zurück: Der Komponist war stets auch „Musikant“, wie Theodor W. Adorno einmal etwas pejorativ feststellte – aus heutiger Sicht ein durchaus positives Prädikat.

Zilligs Erfahrungen mündeten 1932 in seiner ersten Oper „Rosse“ (nach Richard Billinger), uraufgeführt im Februar 1933 in Düsseldorf noch unter Jascha Horenstein – diesem Opernerstling steht nun im Frühjahr 2026 in Würzburg die Wiederkehr auf die Bühne bevor. Der Stoff, das verhängnisvolle Aufbegehren eines Rossknechts gegen die Technisierung auf dem Land, lässt sich heute durchaus als Metapher auf unsere Gegenwart interpretieren. Seine zweite Oper Das Opfer (nach Reinhard Goering) wurde 1937 vollendet, im selben Jahr an der Hamburger Staatsoper auf die Bühne gebracht, allerdings nach nur vier Vorstellungen vom Spielplan genommen; sie erklang erst 1959 konzertant und 1960 szenisch in Kassel wieder. Im Handlungsrahmen der Südpolexpedition von Robert Falcon Scott entspinnt sich hier die Abwägung von Aufopferung zwischen Individuum und Gemeinschaft. Die Komposition der 1933 begonnenen Oper „Troilus und Cressida“ (nach William Shakespeare) begleitete Zillig in mehreren Anläufen durch die 1930er- und 1940er-Jahre, bis sie schließlich 1951 in Düsseldorf ihre Uraufführung erfuhr. Besondere Beachtung verdient gattungs- wie mediengeschichtlich „Die Verlobung in St. Domingo“ (nach Heinrich von Kleist), als sogenannte Funkoper für das Radio konzipiert und 1957 beim NDR uraufgeführt, 1960 für das Fernsehen adaptiert und schließlich 1961 in Bielefeld szenisch auf die Bühne geholt.

Ab 1933 verlegte Zillig seinen Schwerpunkt – neben privat gehaltenen Kammermusikwerken und Liedern – zunächst auf Schauspiel-, Hörspiel- und Filmmusiken, die in großer Zahl entstanden. Dass er in diesen Schaffensbereichen auch später, in den 1950er- und 1960er-Jahren, sehr erfolgreich war, lenkt die Aufmerksamkeit auf seine besondere, aus der musikalischen Praxis geborene Fähigkeit, sich ohne Scheu und Dünkel einer jeweils gegebenen musikalischen Aufgabe zu stellen, indem er Zweck und Wirkung zum Maßstab der jeweiligen Musik erhob, ohne dabei seine kompositorischen Wurzeln, seinen „Zwölfton“, wie er die dodekaphonen Strukturen nannte, zu vergessen oder zu verleugnen. Die kompositorischen Brücken zwischen seinem kammermusikalischen Schaffen, seinen Liedern, seiner Orchestermusik, seinen Opern und den vermeintlich nur funktionalen Kompositionen für Schauspiel und Film verbinden Welten, die zu seiner Zeit noch vielen unvereinbar erschienen.

So ist es nur konsequent, dass sich gerade unter den Orchesterwerken neben Kompositionen mit klarer Gattungstradition, etwa seinem Konzert für Violine und Orchester (1955), auch Kompositionen finden, die ihren Ursprung auf dem Theater oder der Leinwand hatten, bald aber als Konzertfassungen reüssierten, etwa die „Tanzsinfonie“ (1938), die „Musik zu einem abstrakten Film“ (1954) und die zwei Orchestersuiten „Traumstraße der Welt“ (1958, 1962).

Unvollständig wäre ein Überblick über die mehreren hundert überlieferten Kompositionen ohne einen Verweis auf Zilligs Liedschaffen. Nach Lyrik von Goethe und Eichendorff über Baudelaire und Verlaine bis George, Rilke und Trakl entstand ein Repertoire an Klavierliedern, von denen viele als Orchesterlieder bearbeitet wurden, unter ihnen Sieben Sonette (Eichendorff, 1945/1951), „Fünf Lieder“ (Trakl, 1924–1954), „Acht Lieder“ (d’Annunzio, 1944/1962) und „Vergessene Weisen“ (Verlaine/George, 1940/1954).

Mit seinem immensen kompositorischen Werk, seiner regen Konzerttätigkeit, seinen Verdiensten um die Neue Musik als Organisator von Konzerten, Veranstaltungen und im Rundfunk der Nachkriegszeit, auch als Autor im Dienste seiner zeitgenössischen Komponisten-Kollegen zählte Winfried Zillig bis zu seinem unerwarteten, frühen Tod im Jahr 1963 zu den sehr präsenten Figuren des Musiklebens. In gewisser Weise war er seiner Zeit voraus: Grenzen zwischen „E-Musik“ und „U-Musik“ existierten für ihn nicht, seinem Publikum in Konzertsaal, Theater und Kino verstand er ebenso hochartifizielle Zwölftonkompositionen nahezubringen wie stilistisch bunte Schauspiel- und Filmmusik. Die Zeichen stehen gut, die Vielfalt von Zilligs Werk für die Vielfalt heutigen Musiklebens wiederzuentdecken.

Christian Lemmerich
(aus [t]akte 2/2025)

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