Ofer ist die Geschichte einer großen Liebe vor dem Hintergrund einer großen Tragödie. Das Libretto, das auf dem Roman von David Grossman Eine Frau flieht vor einer Nachricht basiert, habe ich – mit Hilfe und Zustimmung von Grossman – selber verfasst. Es wird von Ora erzählt, von ihrer Liebe zu zwei Jugendfreunden (einer von ihnen, Ilan, wird später ihr Ehemann), vor allem aber von ihrer Liebe zu ihrem Sohn Ofer. Dies vor dem Hintergrund des ewig anhaltenden israelisch-palästinensischen Konflikts – einer der zahlreichen Konflikte, die es in unserer Welt gibt, die sich ja, solange es Menschen gibt, im „Zeitalter des Krieges“ befindet …
Ofer, gerade vom Wehrdienst entlassen, meldet sich freiwillig für einen Militäreinsatz im Westjordanland. Ora gerät in Panik, denn sie weiß, dass Ofer gefährdet ist. Sie muss befürchten, dass er, nachdem er vom dreijährigen Militärdienst unversehrt zurückgekehrt ist, mit seinem freiwilligen Einsatz das Schicksal herausfordert, so dass diesmal Militärs vor der Tür ihrer Wohnung stehen könnten, um ihr die Nachricht von seinem Tod zu bringen. Sie flüchtet in magisches Denken: Solange sie nicht zu Hause ist, kann die Botschaft nicht überbracht werden, kann Ofer nicht tot sein. Ihre Flucht soll ihn schützen. Auf die Wanderung im Norden des Landes nimmt sie den anderen Jugendfreund, Avram, mit, der, wie allmählich klar wird, der leibliche Vater Ofers ist. Avram war Soldat im Sechstagekrieg und ist von seiner Gefangenschaft in Ägypten körperlich und seelisch tief gezeichnet zurückgekehrt. In dieser Zeit, in der Ora ihn aus tiefster Not herauszuhelfen versuchte, wurde Ofer gezeugt.
Die Wanderung bzw. die „Flucht“ ist gleichsam ein magischer Abwehrzauber, zugleich ist sie Erinnerungsreise, Gesprächstherapie und Erzählweg: Ora ruft sich und Avram den gemeinsamen Sohn vom Moment seiner Zeugung an ins Gedächtnis, um mit ihrer Erzählung Ofer magisch am Leben zu erhalten.
In der Geschichte Oras, Avrams, Ofers und der anderen Personen spiegelt sich die bewegte Geschichte des Landes Israel wider. Doch obwohl Buch und Oper mit dem Land und seinen Nachbarn zu tun haben, sind die behandelten Fragen sicher nicht nur auf diesen Teil der Welt beschränkt, sondern gelten auch für andere Länder und andere Zeiten – sprechen sie doch universelle Themen der Menschheit an.
Luca Lombardi
(aus [t]akte 2/2016)