Logo: takte
Das Bärenreiter Magazin
  • Portrait
  • Musiktheater
  • Orchester
  • Zeitg. Musik
  • Gesamtausgaben
  • Publikationen
  • Termine
  • Kontakt

English switch to english

Mit geschicktem Gespür für Form. Der englische Komponist Jonny Greenwood

Jonny Greenwood (* 1971) ist vielleicht am besten bekannt als Leadgitarrist von Radiohead und The Smile, aber in den letzten zwei Jahrzehnten hat er sich auch als Komponist einen Namen gemacht – mit einem gefeierten Katalog an Konzertwerken sowie hochkarätigen Filmmusiken, darunter „Norwegian Wood“ (basierend auf dem Roman von Haruki Murakami), Lynne Ramsays „We Need To Talk About Kevin“ und dem Oscar-nominierten Stück „Phantom Thread“.

Eine Suite für Streicher nach Greenwoods Musik für Paul Thomas Andersons Oscar-prämierten Film „There Will Be Blood“ wurde bereits über hundert Mal auf internationalen Konzertbühnen aufgeführt und faszinierte das Publikum mit vielschichtigen, langsam fließenden Klängen, die von einer bedrohlichen Western-Atmosphäre durchdrungen sind. Greenwoods rhythmisch wilde, abgehackte Komposition fängt den rauen Charakter der Kulisse ein. 2018 überarbeitete er weitere Stücke aus dem Film zu einer Suite für Streichquartett, die das Danish String Quartet 2025/26 auf Tournee durch Europa und Nordamerika aufführt.

Eine Aufnahme von Greenwoods vollständiger Filmmusik wurde 2011 bei Nonesuch veröffentlicht. Greenwood selbst hat das Ondes Martenot in Live-Aufführungen der gesamten Filmmusik mit dem Los Angeles Philharmonic, dem New York Philharmonic und dem Melbourne Symphony Orchestra gespielt.

Greenwoods Werk ist durch eine charakteristische Streicherbehandlung geprägt, die den starken Einfluss von Krzysztof Penderecki auf den Komponisten widerspiegelt. „48 Responses to Polymorphia“, ein 19-minütiges Werk für 48 Streicher, inspiriert von Pendereckis gleichnamigem Meisterwerk von 1962, zeigt eine erstaunliche Vielfalt an Effekten: komplexe Wolken aus Mikrotönen, Schläge auf den Korpus der Instrumente, Spiel auf dem Saitenhalter und hinter dem Steg, wodurch huschende, insektenartige Texturen entstehen.

Ausgangspunkt ist der unerwartete C-Dur-Akkord, mit dem Pendereckis Stück endet und der in neun Sätzen neu interpretiert wird. Das Werk wurde 2011 in Breslau zusammen mit Werken Pendereckis uraufgeführt.
2024/25 wurden Greenwoods Werke für Streicher „There Will Be Blood“, „Popcorn Superhet Receiver“ – seine erste groß angelegte Komposition, die er im Rahmen einer Residenz für das BBC Concert Orchestra geschaffen hatte – und „48 Responses“ vom Royal Danish Ballet aufgeführt.


Ausblick

2026 erfährt in Manchester (am 26. Februar mit dem Hallé-Orchester) und in Amsterdam (am 16. Mai mit dem Netherlands Radio Philharmonic) mit Daniel Pioro unter der Leitung von André de Ridder eine überarbeitete Fassung von Greenwoods Violinkonzert „Horror vacui“ seine Erstaufführung. Greenwoods bislang umfangreichstes Konzertwerk ist für 56 Streicher komponiert und stellt eine weitere Hommage an Penderecki dar, die die Faszination des Komponisten für frühe Synthesizer-Technologie und elektronische Musik widerspiegelt. Es überträgt eine Vielzahl von Nachhall- und Echoeffekten auf den großen Streicherkörper und belebt ihn mit der Energie der Live-Aufführung neu; der Solist wiederum behandelt das Orchester wie einen großen Hallraum und löst Resonanzen, Echos und eine körnige Dehnung der musikalischen Zeit und des Raums aus.

Die Aufführung in Manchester ist Teil einer Reihe des Hallé-Orchesters, die sich auf Greenwood konzentriert. Das Konzert umfasst auch „Water“, ein 18-minütiges Werk für Streicher, Flöten, verstärktes Klavier und kleine Orgel, in dem der Komponist selbst die Tanpura spielt. Greenwood ist mehrmals in den rund 50 Aufführungen des Stücks aufgetreten, das vom Australian Chamber Orchestra in Auftrag gegeben und auf Tournee mitgenommen wurde. Zu den Interpreten gehörten unter anderem das Scottish Chamber Orchestra, das Toronto Symphony Orchestra und die Amsterdam Sinfonietta. Inspiriert von einem Gedicht von Philip Larkin, erweist sich in Water Greenwoods Interesse an klassisch indischen Traditionen, indem er Bordun-Töne und oszillierende Ostinato-Klänge verwendet. „Greenwood entwickelt ein geschicktes Gespür für Form“, schrieb The Telegraph, „das seine ohnehin schon ausgeprägte Fähigkeit für Harmonie und Klangstruktur ergänzt.“

Im Mittelpunkt der Reihe steht die Aufführung von „605 Years of Reverb“ (2024), einem achtstündigen Stück für Orgel, gespielt von Anna Lapwood und James McVinnie in der Kathedrale von Manchester. Der Titel variiert je nach Alter des Veranstaltungsortes, an dem es aufgeführt wird: Im August 2025 wurde McVinnies Aufführung zusammen mit Eliza McCarthy bei der Ruhrtriennale als „124 Years of Reverb“ angekündigt. Es wurde komponiert, so Greenwood, „um all die Musik, Stimmen und Klänge heraufzubeschwören, die jemals die Luft erfüllt und die Wände eines Raumes durchtränkt haben: um sie aus dem Gewebe des Gebäudes zu schütteln oder herauszulocken, damit sie wieder gehört werden können“.     

Benjamin Poore, Faber Music
(Übersetzung: JM/TS)
(aus [t]akte 2/2025)

zurück

English switch to english

Zeitg. Musik

Fundamentale menschliche Erfahrungen. „Earth“ von Andrea Lorenzo Scartazzini
Von den Träumen der Kindheit. Ľubica Čekovskás „Toy Procession“ für Houston
Die Kantate „Weichet nicht!“ und das „Jüdische Gebet“ von Miloslav Kabeláč
Komplexer Zwölfton und populäre Filmmusik. Der Komponist Winfried Zillig
Tödliche Begegnungen. Miroslav Srnkas neue Oper „Voice Killer“
Transformationen des Klavierklangs. Beat Furrers Klavierkonzert Nr. 2
Von Hölzern und Eidechsenengeln. Beat Furrers Oper „DAS GROSSE FEUER“ für Zürich
„Unerwartet schön“. Die englische Komponistin Cassandra Miller
No templates! Dieter Ammanns Violakonzert für Nils Mönkemeyer
Über den eigenen Tellerrand hinaus. Philipp Maintz ist „Composer in Focus“ in Aachen
Kunst kommt vom Verantworten. Zum 100. Geburtstag Giselher Klebes
Oberflächenspannungen. Die Komponistin Lisa Illean stellt sich vor
Das Orchester spielt die Hauptrolle: Bruno Mantovanis Oper „Voyage d’automne“
Visionärer Blick. Beat Furrer wird siebzig
Charlotte Seithers Dialog-Oper „Fidelio schweigt“ in Gelsenkirchen
ImpressumDatenschutz