Die Stimme, die Pinocchio darstellt, interagiert mit fünf Musikern des Ensembles, die die von Carlo Collodi erdachten Tiere und Figuren darstellen. Die Musiker und ihre Instrumente sind die einzigen szenischen und visuellen Elemente, die auf der Bühne zur Verfügung stehen, um die Welt der Holzpuppe zu beschwören und zu erkunden. Dies ereignet sich in einem begrenzten kahlen Raum, in dem die Orte und Wesen der Geschichte sich vor allem akustisch manifestieren. Der Ort der Aufführung ist der Körper der Sängerin selbst, ihre Stimme, ihre Bewegungen. In ihrem Stimmorgan vollzieht sich die Verwandlung Pinocchios, und von dort aus wird sie dem jungen Publikum direkt übermittelt. Die anderen Figuren – unförmige, charakterschwache, zwielichtige und verdorbene Gestalten – sind vormenschliche Wesen, die Pinocchio ohne Unterlass ablenken, ihn auf die Probe stellen, ihn auslachen, und sein Streben danach, sich in einen Menschen zu verwandeln, behindern wollen.
Les Aventures de Pinocchio ist ein Stück der geringen Mittel, für die Straße. Es kommt ohne Grenze zwischen Interpreten und Kindern aus, denn die Musiker interagieren mit Pinocchio und erschaffen dabei sehr differenzierte Klangszenen, die die Kinder im Publikum zum spontanen Mitmachen anregen. Jedes Instrument ist durch Zitate oder Bearbeitungen mit seinem spezifischem Repertoire verbunden, seiner „instrumentalen Stimme”, die sich aufgrund der Spieltechnik und des Solo-Repertoires herausgebildet hat. Sie bezieht sich jedoch nicht auf die Vokaltradition oder die verbale Kommunikation. Der Perkussionist schafft die Verbindung zwischen Pinocchio, den Musikern und den Kindern: Er legt Hindernisse in den Weg, bietet Auswege an, er erschafft donnernde Gewitter, stille Unterwasserwelten und nächtliche Finsternis. Das Cello stellt die Grille dar, ihr „springendes Sprechen” erinnert mit seinen „jeté“-Effekten und Arabesken aus Flageoletttönen an Stilelemente Sciarrinos. Die Grille ist eine kleine philosophisch-meditative Figur, die einen Gegenpol zur Vulgarität und Gewalt der anderen Figuren bildet. Der Hornist verkörpert einen Clown, wie man ihn aus Fellini-Filmen kennt: aggressiv und geistreich, melancholisch und niedergeschlagen zugleich. Der Kontrabass, die Personifizierung der Ängste Pinocchios, liefert die wichtigste Klangenergie des Stückes. Die Violine steht entweder für den freundschaftlichen Delphin oder für den treulosen Fuchs, der Pinocchio zwar höflich und freundlich begleitet, ihn jedoch immer wieder überrumpelt und enttäuscht.
Die Stimme, ein Sopran „en travesti“, verkörpert den Pinocchio, hin und wieder jedoch auch die blaue Fee. Mit einer schweren Sprechstimme, die an den römischen Realismus der Schauspielerin Anna Magnani erinnert, macht die Fee Pinocchio zunächst Vorhaltungen, um dann eine Verwandlung zu durchleben: Ihr zunächst opernhafter Vokalstil wird immer kontrollierter, reduziert sich zum Renaissancestil und nähert sich fast der Stille. Als Pinocchio klingt die Stimme des Soprans direkt, verzweifelt, kapriziös und aggressiv. Immer jedoch bleibt sie erkennbar als die eines Beinahe-Kindes, das allein gegen eine Welt durchgedrehter und unzulänglicher Erwachsener kämpft. Es bleibt ihm nur die Flucht. Aber damit sind seine Angst, sein Schreien und Leiden nicht beendet.
Francesco Filidei: „Sull’essere angeli”
Sull’essere angeli ist der Titel des neuen Flötenkonzerts von Francesco Filidei. Es wird am 2. April 2017 beim Festival „Printemps des Arts de Monte Carlo“ von Mario Caroli und dem Orchestre Philharmonique Nizza unter Leitung von Pierre-André Valade uraufgeführt.
Filidei schreibt dazu: „Nach meiner Oper über Giordano Bruno, in die meine kompositorischen Erfahrungen aus jahrelanger Arbeit eingegangen sind, hat es mich viel Zeit gekostet, mir Wege in neue Richtungen zu bahnen. In meinen letzten Arbeiten, den ersten ,Ballate‘ und einigen anderen Stücken, hatte ich noch eine skalenbasierte Makrostruktur verwendet, die allmählich Gefahr lief, steril zu werden. Seit der Ballata Nr. 6 Canzone für Harmonika und Ensemble habe ich nun versucht, einer nackten Linie zu folgen, die sich fragil im Raum bewegt.
In dieser Arbeit wird der abstrakte Körper einer schwachen Stimme, die auf einer brüchigen Serialität basiert – eine Melodie, die sich in Stille verliert – hin und wieder vom Orchester zugedeckt, jedoch nur, um noch einsamer und entblößter als zuvor zurückgelassen zu werden. Der Bezug auf die Engel verweist einerseits auf die Fotoserie On Being an Angel von Francesca Woodman, andererseits auf die Widmung, die Alban Berg seinem Violinkonzert voranstellte, ,Dem Andenken eines Engels‘.“
Andrea Fontemaggi / RAI Com
(aus [t]akte 1/2017)