Ein Gedicht des russischen Futuristen und Sprachkünstlers Viktor Chlebnikov – beinahe unübersetzbares Kunstwerk in einer deutschen Nachdichtung von Alexander Nitzberg – wird zum Ausgangspunkt von Philipp Maintz’ Komposition für Bariton und Orchester. wenn steine sich gen himmel stauen wird beim Printemps des Arts Monte Carlo von Otto Katzameier (Bariton), dem Orchestre Philharmonique de Monte Carlo unter Leitung von Jean Deroyer uraufgeführt.
„Das Gedicht ist für mich so etwas wie eine Schneekugel: ganz intim, geborgen, zart und innerlich – und das Orchester ‚bewacht’ diese zerbrechliche Intimität auf eine schon ‚magische’ Art und Weise“, sagt Philipp Maintz über seine Komposition zu Viktor Chlebnikovs Dichtung, einem Text aus dem Jahr 1918, dessen Bilder in einer archaischen, fast bukolischen Landschaft angesiedelt sind. Der russische Dichter, der dem Futurismus zugerechnet wird und sich selbst als „Zukünftler“ bezeichnete, schuf wuchernde, vieldeutige Sprachkunstwerke. Philipp Maintz reizt gerade das „kryptisch Surreale“ des Textes, dabei ist die Neuübersetzung von Alexander Nitzberg „von einer extrem sinnlichen Poesie, die sofort etwas zum Klingen bringt.“
Der aus Moskau stammende Schriftsteller, Übersetzer, Publizist, Librettist und Rezitator studierte in Düsseldorf und lebt in Wien, seit er 2010 die Ernst-Jandl-Poetik-Dozentur innehatte. Er setzt in seiner Nachdichtung die Vorlage mit ihren Reimen und Assonanzen in schwebende, klingende Bilder um, wie zum Beispiel „wo ein Knabe zerrupft die Wolke / vom Schwanenvolke / und mit müden Mündern, / und von Winden / den Schlünden“. Alles steuert zu auf die Anbetung einer fernen Geliebten, auf deren „Augen, die zu Pfingsten leuchten, seidendurchwirkte“. Dabei bleibt der Text rätselhaft, und gerade dieser Atmosphäre der Innerlichkeit möchte Philipp Maintz in seiner Vertonung nachspüren: „Die Komposition geht dem nach, was das Gedicht an Stimmungen, Reflexen, Resonanzen hinterlässt. Es hat für mich eine große Innerlichkeit, ein Bei-Sich-Sein. Die Bilder fügen sich wie Kettenglieder ineinander und bewegen sich fort, nach einem in sich sehr musikalischen Prinzip. Ich habe versucht, einen sehr intimen Klang zu finden. Das Orchester bricht selten groß aus, selbst im Tutti bleibt es sehr ineinander verschachtelt, samtweich, verträumt, wie ein helles Violett“, als würde es die im Gedicht evozierte Bläue der Gebirgsluft nachempfinden.
Zum Gesang verhält sich der Orchestersatz wie ein Resonanzraum, der die vom Bariton evozierten Bilder intensiviert. Philipp Maintz vergleicht dies mit einer Wirbelschleppe, also dem Luftstrudel, der sich hinter einem Flugzeug aufbaut. „Es war mir sehr wichtig, einen sehr detailreichen, tiefenscharfen Orchestersatz zu schreiben, der eine klangliche Intimität behält. Der Klang ist also sehr ausdifferenziert, ohne dass er je in eine graue Fläche umschlägt, um auch darin die latent bizarre Atmosphäre des Gedichts abzubilden. Die Gesangslinie ist formale Klammer, ein roter Faden, der alles fokussiert, was sich im Orchester um sie herum ereignet. Der Orchestersatz hat etwas von wirbelndem Laub oder Nebelschwaden, die vom Gesang hin und hergeweht werden. Es gibt eigentlich nur ganz wenige Momente der Intensivierung, in denen das Orchester heftig auffährt oder der Atem der Musik sich verdichtet.“
Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 1/2012)