Flavius Bertaridus. König der Longobarden ist die einzige Opera seria Telemanns, die erhalten geblieben ist. Uraufgeführt wurde sie im Hamburger Theater am Gänsemarkt am 29. November 1729. Das Libretto von Christoph Gottlieb Wend und Georg Philipp Telemann basiert auf der venezianischen Oper Flavio Bertarido, Ré de Longobardi von Stefano Ghisi, die mit der Musik von Carlo Francesco Pollaroli 1706 aufgeführt wurde.
Die Handlung greift Begebenheiten der norditalienischen Geschichte der Jahre 661 bis 671 auf. Der abgesetzte Bertaridus bittet durch seinen Getreuen Onulfus den Usurpator Grimoaldus, an den Hof zurückkehren zu dürfen. Seine Schwester Flavia verwendet sich für ihn. Er weiß nicht, dass Rodelinda und Cunibert sich als Hirten verkleidet und unter falschem Namen in der Nähe aufhalten. Rodelinda, und auch Flavia, wissen ihrerseits nicht, wo Bertaridus sich befindet. Der verkleidete Bertaridus trifft auf seine schlafende Schwester, die er trotz Rachegedanken nicht tötet. Sein Schwert lässt er liegen, wodurch Rodelinda erfährt, dass er in der Nähe ist. Die inzwischen erwachte Flavia lädt Rodelinda und Cunibert – ohne zu wissen, wer sie sind –, an den Hof ein. Bertaridus trifft, noch im Wald, Frau und Kind; sie erkennen einander. Grimoaldus verliebt sich in die ihm fremde Frau, doch sie ist treu und will ihn in einen Hinterhalt locken. Im Dunkeln greift Rodelinda jeden an, der sich ihr nähert, auch den eifersüchtigen, ihr auflauernden Bertaridus und den Flavia erwartenden Orontes. Denn dieser liebt Flavia. Grimoaldus nimmt Rodelinda fest, Bertaridus befreit sie. Grimoaldus stirbt auf einer Jagd. Flavia glaubt aber, er sei einem Anschlag Orontes’ zum Opfer gefallen. Enttäuscht über diese Reaktion, gaukelt er ihr vor, ihr Kind Regimbert sei ermordet worden, was Flavia fast verzweifeln lässt. Doch besinnt er sich und führt es seiner Mutter wieder zu. Bertaridus und seine Familie erfahren durch den langobardischen Schutzgeist, dass Grimoaldus nicht mehr lebt. Bertaridus wird in seine alten Rechte eingesetzt; mit Einverständnis ihres Bruders erhört Flavia nun das Werben des Orontes.
Das bühnenwirksame Libretto, in dem die Handlungsstränge eng miteinander verwoben sind, ist gut proportioniert, sehr geschickt und spannungsreich angelegt. In feiner Abstufung werden die Protagonisten fast gleichwertig behandelt. Unvernünftige Leidenschaften wie Rachsucht, Eifersucht, Wut oder Wollust, aber auch Verzweiflung, stehen Tugenden wie Treue und Familiensinn gegenüber oder werden in vernünftige Affekte gewandelt. Telemann fand für das hochaffektive Drama eine am italienischen Stil geschulte, sehr ausdrucksstarke und formenreiche musikalische Sprache.
Ute Poetzsch-Seban