Wer in Händels Arminio eine deutschnationale Barockoper erhofft, sieht sich enttäuscht. Doch enthält das Werk aus dem Jahr 1736 ein Füllhorn reizvoller Musik. Bei den Festspielen in Halle wird Arminio jetzt aufgeführt.
In den sechs Monaten von August 1736 bis Januar 1737 komponierte der 51-jährige Georg Friedrich Händel drei Opern. Nie zuvor hat er eine solche Anzahl in so kurzer Zeit geschaffen. Vom 15. September bis zum 14. Oktober 1736 entstand so Arminio HWV 36.
Die Uraufführung fand am 12. Januar 1737 in London statt. Nach nur fünf weiteren Aufführungen wurde sie abgesetzt, erzielte also nur geringen Publikumserfolg. Der 4. Earl of Shaftesbury war jedoch von dem Werk und der von ihm besuchten zweiten Aufführung begeistert und schrieb am 18. Januar 1737: „Ich war letzten Sonnabend in Arminius […]. Mr. Händel hat ein viel größeres orquestre (ich weiß nicht, wie dieses Wort geschrieben wird) als voriges Jahr […]. Die Oper ist eher düster, aber […] im höchsten Grade durchgearbeitet und eine der von Händel selbst bevorzugten. Die Bässe und die Begleitung sind, soweit das möglich ist, noch besser als gewöhnlich. Doch ich fürchte, dass sie nicht sehr lange aufgeführt werden wird. Die Stadt bewundert sie nicht sehr. […] Ich denke, dass [in dieser Oper] eher mehr Abwechslung und Geist als in irgendeiner der bisherigen ist und dass sie vortrefflich aufgeführt wird.“ Wiederaufnahmen des Arminio hat es zu Händels Lebzeiten nicht gegeben.
Antonio Salvis Operntext Arminio zählte seit der Uraufführung 1703 in Pratolino bei Florenz mit Musik von Alessandro Scarlatti zu den am häufigsten vertonten Opernlibretti der Barockzeit. Obwohl 1736 bereits viele Neufassungen des Textes existierten, legten Händel und sein unbekannter literarischer Mitarbeiter ihrem Text das Libretto von 1703 zugrunde, zu dem Salvi von der Tragödie Arminius (1684) des Franzosen Jean Galbert de Campistron angeregt worden war.
Die Konstellation der Personen in Händels Arminio entspricht im Wesentlichen derjenigen ihrer historischen Vorbilder, die Handlung der Oper selbst hat jedoch nur wenig mit den geschichtlichen Ereignissen zu tun: So sind einerseits Varos Liebe zu Tusnelda, Arminios Gefangennahme durch seinen Schwiegervater Segeste sowie Segestes Versöhnung mit Tusnelda und Sigismondo, seinen beiden Kindern, und mit Arminio unhistorisch, während von einer Schlacht im Teutoburger Wald in der Oper gar keine Rede ist und nur in der letzten Szene kurz berichtet wird, dass Varo umgekommen sei, offenbar bei der Eroberung von Segestes Burg durch Arminios „deutsche“ Krieger.
Obwohl Händel Arminio, wie der Earl of Shaftesbury berichtete, mit einem im Vergleich zum im Vorjahr von ihm verwendeten Klangkörper viel größeren Orchester aufführte, ist das Werk nicht besonders reich instrumentiert. Neben Oboen, Fagotten, Streichern, Cembalo und Erzlaute sind nur ein Satz Hörner und Blockflöten vorgesehen, die in vielen Opern Händels verwendeten Querflöten und Trompeten fehlen ganz. In Hinsicht des Niveaus der geist- und abwechslungsreichen musikalischen Erfindung von Arminio ist dem Urteil des Earl noch heute zuzustimmen. So bilden die letzten Szenen des zweiten Aktes mit den großen Arien Sigismondos (mit konzertierender Oboe), Varos (mit Vorwegnahmen von musikalischem Material des berühmten „He was despised“ aus dem Messiah) und Tusneldas (eines von Händels schönsten Sicilianos) einen besonderen Höhepunkt im Schaffen des Komponisten.
(aus [t]akte 1/2014)