„Zaïs“, die märchenhafte Oper, die nun in der Rameau-Gesamtausgabe „Opera Omnia Rameau“ erschienen ist, wird von gewagten musikalischen Experimenten und freimaurerischer Thematik geprägt.
Zaïs war die erste Oper Rameaus, die sich vollständig „la féerie“ widmete, der verzauberten Welt des Mythos aus dem Mittleren Osten mit seinen Geistern und fantastischen Luftwesen. Sie wurde am 29. Februar 1748 an der Pariser Oper erstaufgeführt und für die Ausdruckskraft, Eleganz und Vielfältigkeit ihrer Musik und für die Anmut ihres Balletts sehr gerühmt. Obwohl das Libretto Louis de Cahusacs in die Kritik geriet, erwies sich das wunderbare Werk als beliebt: 1761 und 1769 wurde es erneut gespielt und verzeichnete in einer Spanne von mehr als zwei Dekaden über 100 Aufführungen.
Zaïs ist eines von Rameaus ersten Werken, das freimaurerische Thematik verarbeitete. Auch wenn solcher Stoff in Zoroastre (1749) und Les Boréades (1763) stärker hervortritt, ist er bereits hier zu finden, obgleich in weniger ausgeprägter Form. Freimaurerische Anspielungen mussten diskret vorgenommen werden: In Frankreich begegnete man Freimaurern noch mit Argwohn. Tatsächlich fand der letzte polizeiliche Einsatz bei einer freimaurerischen Versammlung 1745 statt, nur drei Jahre vor der Uraufführung von Zaïs. Dennoch haben die Gottesurteile, die Verwendung eines Talismans und Amors Gabe der universellen Liebe und Freude eine deutlich freimaurerische Orientierung wie auch die bekannte Symbolik der vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft. Sie spielen nicht nur im Prolog deutlich eine Rolle, sondern auch, als „Peuples élémentaires“, im Hauptgeschehen.
Wie in Mozarts Zauberflöte und Haydns Schöpfung ist der freimaurerische Charakter von Zaïs gleich in der instrumentalen Einleitungsmusik ersichtlich, die „den Schock der Elemente, als sie [aus dem Chaos] herausgetrennt werden“ darstellt. Dies ist eine der gewagtesten Ideen Rameaus. Der Beginn für gedämpfte Trommel ist ein Schachzug, der eines Beethovens würdig ist, und es steckt beethovensche Qualität in den sich anschließenden abrupten tonalen Wechseln. Dennoch löste dieser Musiksatz kontroverse Meinungen aus. Ein Zeitgenosse beispielsweise sagte:
„Ich bin der Meinung, dass die Ouvertüre die Entwirrung des Chaos so gut schildert, dass es die Zuhörer anwidert; dieser Konflikt der Elemente, die sich abspalten und wieder zusammenfügen, kann kein sehr angenehmes Konzert für das Ohr sein. Glücklicher-weise gab es den Menschen noch nicht, um es zu hören: Der Schöpfer ersparte ihm eine solche Einleitung, die seine Trommelfelle zum Platzen gebracht hätte.“
Über die darauffolgende Erschaffung des Universums waltete die Figur des Oromazès, König der Genien. Es ist kein Zufall, dass in Zoroastre – der Rameau-Cahusac-Oper mit dem stärksten Bezug zur Freimaurerei – dieser dem Sarastro ähnliche Berater des Protagonisten auftritt.
Wie die meisten Rameau-Opern wurde Zaïs zu Lebzeiten des Komponisten und danach umfassend bearbeitet. Der Prozess begann während der ersten Proben und setzte sich bis zur Erstaufführung fort. Komponist und Librettist nutzten schließlich die Osterpause 1748, um diese Revisionen auszuarbeiten, die, neben strukturellen Veränderungen und musikalischen Ersetzungen, das Hinzufügen einiger substanzieller Vokal- und Instrumentalsätze enthielten.
Zu den wenigen Verlusten zählte die Streichung einer immer wiederkehrenden orakelhaften Verkündigung – einer eindrucksvollen und originellen Idee. Trotzdem ist die Fassung, die nach der Osterpause dargeboten wurde, sowohl in musikalischer als auch in dramatischer Hinsicht überzeugender, die meisten der Veränderungen stellen eine Bereicherung dar. Im Gegensatz dazu haben die Wiederaufnahmen von 1761 und 1769 – die erste nach dem Tod Cahusacs, die zweite nach Rameaus Tod – drastische Kürzungen zur Folge, darunter den gesamten Prolog. Für den neuen Band der Opera Omnia Rameau wurde die Fassung von Ostern 1748 als Haupttext gewählt. Gleichwohl können Ausführende zwischen dieser und der originalen Version wählen, da eine Reihe von Ergänzungen alle Passagen, die bei der Überarbeitung an Ostern gestrichen wurden, miteinan-der verbindet. Die Hauptpartitur zeigt dabei an, an welchen Stellen diese Passagen eingefügt werden können.
Graham Sadler
(Übersetzung: Teresa Ramer-Wünsche)