Gabriel Faurés Orchesterwerke und konzertanten Stücke gilt es neu zu entdecken. Dabei hilft der Urtext der Gesamtausgabe bei Bärenreiter.
Sein erster Biograph Hugues Imbert unterstrich 1888 noch Faurés „ausgeprägte Neigungen zur eigentlich symphonischen Musik“. Aus heutiger Sicht wirkt diese Einschätzung eher befremdlich, doch sind insbesondere in den 1870er und 1880er Jahren eine Reihe ambitionierter Orchesterwerke entstanden. Innerhalb der Œuvres complètes de Gabriel Fauré sind nun zwei Bände erschienen: Band 2 der Serie der Orchesterwerke enthält die weiteren sinfonischen Werke. Band 3 der Serie enthält die (größtenteils bekannten) konzertanten Werke. Damit liegt, gemeinsam mit dem 2013 erschienenen Band 1, das Orchesterschaffen Faurés vollständig in kritischen Ausgaben vor.
Shylock op. 57 (Orchestersuite)
Die Premiere seiner Schauspielmusik zu Shylock, Edmond Haraucourts Adaptation von Shakespeares Kaufmann von Venedig dirigierte Fauré am 17. Dezember 1889 im Pariser Théâtre de l‘Odéon. Gegenüber seinem um ein Jahr früheren Ansatz mit Caligula repräsentiert sie einen bedeutenden Fortschritt: Die Musik ist mit dem Drama dicht verwoben und spielt bei der Aufführung eine tragende Rolle. Neben den Streichern verlangt die Partitur nur einfache Holzbläser (ausgenommen zwei Klarinetten), ein Horn, eine Trompete und eine Harfe. Im Gegensatz dazu sieht die Orchestersuite doppelte Holzbläser vor, vier Hörner, zwei Trompeten, Harfe und Triangel. Der Vergleich beider Partituren zeigt, dass Fauré seine Musik nicht einfach uminstrumentierte, sondern viele sorgfältige Revisionen durchführte sowie neue Passagen einfügte. Die Suite op. 57 wurde am 17. Mai 1890 in einem Konzert der Société nationale de musique unter der Leitung von Gabriel Marie erstaufgeführt. Shylock enthält Musik Faurés in ihren farbenprächtigsten und fantasievollsten Instrumentierungen.
Chanson – Entracte – Madrigal – Épithalame – Nocturne – Final
Besetzung: Tenor solo, 2,2,2,2 – 4,2,0,0 – Pk, Trgl –
2 Hfe – Str
BA 7906, Aufführungsmaterial leihweise
Pelléas et Mélisande op. 80 (Orchestersuite)
Faurés nächster bedeutender Auftrag für Orchester war 1898 die Schauspielmusik zu Maurice Maeterlincks Stück Pelléas et Mélisande, und die daraus hervorgegangene Orchestersuite darf sicherlich als sein Meisterwerk dieser Gattung bezeichnet werden. Zeitliche Engpässe zwangen ihn, die Orchestrierung zunächst seinem Schüler Charles Koechlin zu übertragen. Ab dem 21. Juni 1898 fanden am Prince of Wales Theatre in London neun Aufführungen statt, der Komponist selbst leitete die Uraufführung. Als Fauré dann die Suite zusammenstellte, wählte er die drei Hauptnummern: das „Prélude“, das zweite Zwischenspiel („Entr’acte“), das zu „Fileuse“ wurde, und das vierte „Entr’acte“, nun „Molto adagio (La Mort de Mélisande)“ bezeichnet. Die Besetzung wurde erweitert und enthielt nun eine sinfonische Streichergruppe mit doppelten Holzbläsern (also zusätzlich eine Oboe und ein Fagott), vier Hörner anstelle von zwei, die zwei originalen Trompeten und unveränderte Pauken sowie eine zusätzliche Harfe. Diese Ergänzungen gaben Anlass zu zahlreichen Änderungen in Balance und Stimmführung. Erstmals aufgeführt wurde die Orchestersuite op. 80 in Faurés eigener Orchesterfassung am 3. Februar 1901 von Camille Chevillard und dem Orchester der Concerts Lamoureux. Nicht nur in Frankreich erfreute sie sich bereits in ihrer dreisätzigen Fassung eines beachtlichen Erfolgs. Zwar wurde die Suite schon seit Dezember 1912 in vier Sätzen aufgeführt, doch erst 1920 fragte Fauré förmlich bei Edgard Hamelle an, ob die Sicilienne der Orchesterpartitur eingegliedert werden könne.
Prélude – Fileuse – Sicilienne – Molto adagio (La Mort de Mélisande)
Besetzung: 2,2,2,2 – 4,2,0,0 – Pk – 2 Hfe – Str
BA 7895, Aufführungsmaterial käuflich
Vorspiel zu „Pénélope“ (Konzertfassung)
Die Idee, eine Oper zu komponieren, ließ Fauré nie los, während seiner gesamten Schaffenszeit ist seine Korrespondenz gespickt mit Anspielungen auf Opernprojekte, Kooperationen mit Librettisten und Verhandlungen mit möglichen Auftraggebern. Die Idee zu Pénélope entstand nach einem Gespräch mit der Sängerin Lucienne Bréval in Monte-Carlo im Februar 1907. Bréval brachte ihn mit dem jungen Dramatiker René Fauchois zusammen, der in ihrem Auftrag ein Libretto nach Homers Odyssee verfasste: Fauré war vom Sujet begeistert, doch aufgrund seiner Verpflichtungen als Direktor des Pariser Konservatoriums konnte er fast ausschließlich in den Sommermonaten komponieren. Die ersten Aufführungen der Oper fanden daher erst im März 1913 in Monte-Carlo unter der musikalischen Leitung von Léon Jéhin statt. Die Pariser Erstaufführung folgte im Mai desselben Jahres am Théâtre des Champs-Elysées, wurde ausgesprochen gut aufgenommen und als Meisterwerk gefeiert, doch steckte das Theater bald in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten und ging kurz nach der Aufführung am 28. Oktober bankrott. Die Kulissen wurden verkauft und der Erste Weltkrieg unterbrach mögliche Folgeaufführungen. Zwar wurde die Pénélope 1919 wieder an der Opéra-Comique aufgenommen, und in Belgien wie in ganz Frankreich fanden zwischen den Kriegen erfolgreiche Aufführungen statt, doch wurde die Oper nie ein Repertoirestück.
In dem Bewusstsein, im „Prélude“ die Atmosphäre der ganzen Oper anzulegen, bedachte Fauré die orchestralen Farben sehr sorgfältig. Dabei ist das Vorspiel weit davon entfernt, ein Potpourri aneinandergereihter Themen zu sein, vielmehr ist es, darin Wagners Musikdramen ähnlich, der Angelpunkt, von dem aus sich das Drama entwickelt. Bei szenischen Aufführungen geht das Prélude fließend in den ersten Akt über, und so war es nötig, für die Konzertfassung neue Schlusstakte zu formulieren. Dafür ergänzte er einen kurzen Abschnitt, der auf Pénélopes Liebesthema basiert, und so endet das Prélude in einer ruhigen Stimmung, mit den Schlusstakten des ersten Aktes, wo Pénélope dem verkleideten Odysseus Obdach gewährt.
Besetzung: 2,2,Eh,2, BKlar,2 – 4,2,3,1 – Pk, Becken, Gr. Trommel – Hfe – Str
BA 7907, Aufführungsmaterial leihweise
Masques et Bergamasques op. 112
Faurés letzter Beitrag zur Orchestermusik war 1919 die Suite aus dem musikalischen Lustspiel Masques et Bergamasques, die 1920 bei Durand erschien. Offenbar hatte sein lebenslanger Freund und Förderer Camille Saint-Saëns die Idee zu einem kleinen, das Thema der „Fête galante“ aufnehmenden Bühnenstück Prinz Albert I. von Monaco unterbreitet: Von Raoul Gunsbourg beauftragt schuf René Fauchois eine lockere Handlungsfolge zu einem kleinen Szenario, das einige von Faurés älteren Stücken miteinander in Verbindung bringen sollte; Fauré fügte dem eine kurze Ouvertüre, ein Menuett und eine Gavotte hinzu. Das vollständige „Divertissement“ wurde 1919 in Monte Carlo erstmals und im März 1920 an der Opéra-Comique in Paris aufgeführt.
Die Bühnenfassung enthielt acht Nummern, während die Orchestersuite op. 112 lediglich die vier zuvor noch unveröffentlichten Stücke des jungen Komponisten in revidierten Fassungen zusammenführt. Wie der erfahrene Komponist seine jugendlichen Ideen aufgreift und neu gestaltet, macht den Charme dieser Zusammenstellung aus. Die Ouvertüre geht auf ein Intermède symphonique von 1864–69 zurück (eine Vorfassung für Klavier vierhändig sogar auf 1864). Die Herkunft des „Menuet“ ist unklar, wahrscheinlich basiert auch sie auf älterem Material. Die „Gavotte“ wiederum geht auf die Klavier-Gavotte von 1869 (sowie ihre Orchestrierung in der Sinfonie in F op. 20) zurück, während es sich bei der wunderbar gestalteten, wehmütigen „Pastorale“ (1919), die an letzter Stelle steht, um Faurés letztes Werk für Orchester handelt.
Ouverture – Menuet – Gavotte – Pastorale
Besetzung: 2,2,2,2 – 2,2,0,0 – Pk – Str
BA 7894, Aufführungsmaterial käuflich
Robin Tait
Berceuse op. 16 für Violine und Orchester
Das Risiko für Hamelle bei der Publikation der Berceuse war 1879 denkbar gering: Solche kleinen Stücke für Violine (oder Violoncello) und Klavier waren um 1880 einerseits sehr in Mode, andererseits setzte sich Faurés Berceuse durch den unnachahmlichen Charme ihrer Melodie von der Massenware ihrer Zeit deutlich ab. Struktur und Stil orientierten sich an Frédéric Chopins Berceuse op. 57 (1843/44), gleichsam dem Mutterwerk für alle nachfolgenden Werke dieser Benennung: eine einfache, träumerische Melodie im wiegenden 6/8-Takt über einem ostinaten Bass. Und tatsächlich machte das Stück Furore, nicht nur in Paris, und wurde zusammen mit der Élégie für Violoncello in den beiden Jahrzehnten bis zur Jahrhundertwende gleichsam zum Aushängeschild des Komponisten Fauré. Seine Orchestrierung entstand (zunächst noch mit Horn) bereits Anfang 1880, wurde später noch überarbeitet und verfeinert, bevor sie 1899 im Druck erschien.
Besetzung: Violine solo – 1,0,1,0 – 0,0,0,0 – Str
BA 7909, Aufführungsmaterial leihweise
Ballade op. 19 für Klavier und Orchester
Die Originalfassung der Ballade für Klavier entstand im Spätsommer/Herbst 1879. Formal folgt Fauré hier Liszts Konzept der Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit, verlegt es aber stilistisch in den Bereich von Charakterstücken. So sehr die Grundform – ein schneller Mittelteil wird von langsamen Abschnitten umrahmt – an Chopins Nocturnes erinnert, so originell ist die Form mit drei motivisch verwandten Themen und einem Zwischenspiel.
Die Orchesterfassung von 1881 kann ihre Herkunft als reines Klavierwerk kaum verleugnen. Nur an wenigen Stellen wird der Originalpart vollständig ins Orchester verlagert, es überwiegen kleine Einwürfe und Färbungen im Orchester, allerdings an herausragenden Stellen auch konzertante Dialoge mit den Bläsern. Doch erst nach ihrer Veröffentlichung 1902 und einem Konzert 1903 mit Isidor Philipp, der auch 1908 eine Bearbeitung für zwei Klaviere erstellte, sowie durch das Engagement Marguerite Longs für das Stück, wurde die Ballade immer öfter mit renommierten Orchestern und Solisten aufgeführt und mauserte sich schließlich sogar zum für Fauré repräsentativen Orchesterstück schlechthin.
Besetzung: Klavier – 2,2,2,2 – 2,0,0,0 – Str
BA 7910, Aufführungsmaterial leihweise
Élégie op. 24 für Violoncello und Orchester
Die Élégie wurde in ihrer Originalfassung für Violoncello und Klavier vermutlich erstmals einem größeren Kreis von Musikern im Rahmen der berühmten Montag-Soireen von Saint-Saëns im Juni 1880 vorgeführt, die öffentliche Uraufführung mit dem Widmungsträger Jules Lœb als Solisten fand im 136. Konzert der Société nationale de musique am 15. Dezember 1883 statt. Ursprünglich hatte Fauré in seiner Orchestrierung auch zwei Trompeten vorgesehen. Nach dem Erscheinen der Orchesterfassung 1901 stieg die Élégie dann – neben der Ballade – zum Flaggschiff der konzertanten Werke Faurés auf und wurde im In- und Ausland häufig aufgeführt.
Besetzung: Violoncello solo – 2,2,2,2 – 4,0,0,0 – Str
BA 7908, Aufführungsmaterial leihweise
Peter Jost
(aus [t]akte 1/2017)