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Dramatische und psychologischer Intensität. Jean-Baptiste Lullys Oper „Psyché“

Jean-Baptiste Lully
Psyché. Tragédie in einem Prolog und fünf Akten, 1678. Libretto: Thomas Corneille. Hrsg. von Herbert Schneider. Lully, Œuvres Complètes, III, 7.

Besetzung: Prolog: Flore (Sopran), Vénus (Sopran), Vertumne (Haute-contre); Palémon (Haute-contre), Chor (Sopran, Haute-contre, Tenor, Bass) – Tragédie: Aglaure (Sopran), Cidippe (Sopran), Lychas (Bass), Femme affligée (Sopran), Homme affligé I, II (Haute-contre), Psyché (Sopran), Le Roi (Bass), Vulcain (Tenor), Zéphir I, II (Tenor), Vénus (Sopran), Nymphe cachée (Sopran), L’Amour (Sopran, Haute-contre), Nymphe I, II, III (Sopran), le Fleuve (Bass), Furie I (Tenor), Furie II (Haute-contre), Furie III (Bass), Mercure (Tenor), Jupiter (Bass), Apollon (Haute-contre), Bacchus (Haute-contre), Mome (Bass), Mars (Bass), Muse I, II (Sopran), Satyre I (Haute-contre), Satyre II (Bass), Chor

Orchester: 3 Flöten (3. Bassflöte), Trompete, Musette, Violine, 3 Bratschen, Bass, B. c., Pauken, Trommel

Verlag: Georg Olms. Aufführungsmaterial: Bärenreiter · Alkor

Die Quellenlage zu Lullys „Psyché“ von 1678 ist üppig. Die neue kritische Edition in der Gesamtausgabe bringt Licht ins Dunkel und legt ein faszinierendes Werk frei.

Unter den Opern Lullys nimmt die Tragédie „Psyché“ aufgrund der Bedingungen ihrer Entstehung, ihrer Stellung innerhalb der Gattung und ihrer Rezeption eine Sonderstellung ein. Sie ist die einzige Oper, deren Sujet nicht von Ludwig XIV. festgelegt wurde und die deshalb auch nie am Hof aufgeführt wurde. Das Libretto stammt von Thomas Corneille, der die Tragédie-ballet des gleichen Titels von Molière und Lully 1671 in eine Tragödie mit Rezitativen verwandelte. Die Uraufführung fand am 19. April 1678 nach Ostern in der Académie royale de musique in Paris statt. Das Werk in fünf Akten und Prolog blieb bis August auf dem Spielplan und wurde dann durch die Wiederaufnahme von „Atys“ ersetzt.

Für die kritische Ausgabe von Libretto und Partitur wurden 32 handschriftliche Orchesterpartituren untersucht, darunter die aus Lullys Privatbibliothek stammende, unter den Beständen der Berliner Liedertafel erhaltene Kopie als Hauptquelle, eine Partitur, die keineswegs fehlerfrei ist. Eine so große Zahl von Partiturabschriften ist für Lully charakteristisch, im Fall von Psyché aber auch darauf zurückzuführen, dass erst 1720 eine durch die spätere Aufführungspraxis veränderte Partitur erschien. Angesichts der zahlreichen handschriftlichen Partituren verwundert es nicht, dass so viele Varianten verschiedener Art, des Rhythmus, der Töne, der Taktart, der Bezeichnung der Instrumentalsätze, der Art der Wiederholungen etc. existieren, die alle im kritischen Apparat dokumentiert sind und von denen manche in die Praxis eingehen können.

Lully übernahm die gesamte Musik der „Psyché“ von 1671. Die Abfolge der Tänze und ihre Platzierung zwischen den gesungenen Partien ist je nach Quelle variabel. Die fünf Fassungen des Doubles von „Rispondete a miei lamenti“, der berühmten Klageszene in italienischer Sprache, die erstmals publiziert sind, zeugen von einer lebendigen Improvisationspraxis. Seine Textierung und die beiden Doubles von „Ce n’est plus le temps de la guerre“ und „Est-on sage/Dans le bel âge“ aus dem Prolog stammen aus der Tragédie-ballet, die Lully darin eingeführt hatte und die vermutlich von seinem Schwiegervater Michel Lambert stammen.

Zu den für die Tragödie neu komponierten Stücken gehört der Einleitungschor „Pleurons en de si grands malheurs“ zur Klageszene, der zu den vorzüglichen Chören von 1671 hinzukommt, ein Teil des zweiten, der gesamte dritte Akt und die drei Terzette der Furien für Männerstimmen im vierten Akt, Szenen des Grauens und des Leidens von Psyché, die für die Gattung der Tragédie en musique konstitutiv sind. Die Nymphen des Acheron, die zunächst die Beständigkeit der Liebe Psychés und Amors bewundern, verjagen die Furien; sie sind keine Figuren ohne Bedeutung, wie zu lesen ist.

Den neunzehn fünfstimmigen Instrumentalsätzen von 1671 fügte Lully sechs weitere sehr ausladende, außerdem neun dreistimmige hinzu, charakteristische Elemente der französischen Oper des 17. und 18. Jahrhunderts voller dramatischer oder psychologischer Intensität. Eine große Vielfalt an verschieden gestalteten Monologen, ausdrucksintensive Rezitative mit variantenreicher Harmonik gehören zu den Errungenschaften der „Psyché“ von 1678.

Im zweiten Akt demonstriert Lully seinen Erfindungsreichtum. Mit dem Dialog zwischen den tanzenden Schmieden und dem sie bei ihrer Arbeit anfeuernden Vulkanus hat Lully eine musikdramatische Neuerung eingeführt, indem an die Stelle des Alternierens von Chor oder Ensemble und Solist die von Tanz und Sologesang tritt. Die zweite Errungenschaft besteht in der „versteckten Symphonie“, in deren Dialog von Trios der Violinen und Flöten ein besonderer Klangeffekt erzeugt ist. Dazu singen,  nicht sichtbar, Amor, die Nymphen und Zephire. Die Besonderheit der Rolle Amors besteht im Wechsel zwischen Page (Sopran) und Mann (Haute-contre).

Mit der „Psyché“ von 1678 ist es Lully gelungen, eine Oper von gleich hoher Qualität wie seine großen Meisterwerke zu schaffen. Die Partitur, der Cembaloauszug und das Aufführungsmaterial der beiden Fassungen sind als kritischen Ausgaben verfügbar.

Herbert Schneider
(aus [t]akte 2/2025)

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