In seiner Anlage ist Händels „Il pastor fido“ ein eher bescheidenes Werk. Musik und Handlung aber bieten vielfältige Möglichkeiten zu einem effektvollen Theatererlebnis.
Händels Il pastor fido ist die bescheidenste unter seinen italienischen Opern: Mit Nummern, die mindestens zur Hälfte musikalisches Material aus Händels frühen italienischen Kantaten übernehmen, rückt sie sich bewusst in die Nähe italienischer Serenaten in pastoralem Stil. Um die Schlichtheit der pastoralen Formensprache einzufangen, bediente sich Händel verschiedener Techniken: des konventionellen Einsatzes hoher Stimmlagen (lediglich eine Arie wird nicht von Sopran oder Alt gesungen), der großflächigen Verwendung monothematischer Da-capo-Arien, einer hohen Dichte von zurückgenommenen Arien, z. B. Continuo-Arien, Arien all’unisono (Geigen und/oder Oboen doppeln die Singstimme, keine Begleitung des Continuos) und Arien all’ottave (Continuo oktaviert die Streicher).
Dieses so zurückhaltende Werk wird leicht von Händels größeren Opern überschattet und ist damit Guarinis Tragicommedia (1590) diametral entgegengesetzt, die nicht nur in ihrer Länge, sondern auch in ihrer Bedeutung für Theater, Literatur und Musikgeschichte gewaltig ist. Zur kleinen Anlage des Il pastor fido mag wohl auch die schwierige finanzielle Lage der London Operngesellschaft in der Saison 1712/13 beigetragen haben.
Es leuchtet ein, weshalb Il pastor fido nicht als populärere Vorlage für Opernadaptionen herhalten konnte: Die originale Textvorlage auf den Umfang eines Librettos einzudampfen, stellte eine immense Aufgabe dar. Unter den drastischen Kürzungen von Händels Librettist Rossi wurden aus fünf Akten mit achtzehn Charakteren drei Akte mit sechs Rollen. Das Libretto, nur noch ein dürftiges Gerüst des komplexen Dramas, geriet in die Kritik. Doch Rossi hatte das Beste daraus gemacht, um der Geschichte einen roten Faden zu verleihen und zumindest einen Teil von Guarinis poetischer Sprache zu bewahren.
Die vereinfachte Handlung: Arkadien leidet unter dem von einer untreuen Nymphe hervorgerufenen Fluch, wobei Göttin Diana alljährlich das Opfer einer Jungfrau verlangt und untreue Frauen mit dem Tod bestraft. Ein Orakel prophezeit, dass, wenn zwei Kinder des Himmels in Liebe vereint seien, ein Schäfer den Fluch brechen wird. Die Nymphe Amarilli, eine Nachfahrin Pans, und der Jäger Silvio, ein Nachkomme Herkules’, wurden auserwählt zu heiraten, um Diana zu besänftigen. Doch Silvio interessiert sich nur für die Jagd, während Amarilli eigentlich den fremden Schäfer Mirtillo liebt. Als Silvio von der Nymphe Dorinda durch die Wälder gejagt wird, plant die hinterhältige Nymphe Eurilla, die ebenfalls in Mirtillo verliebt ist, Amarilli zu beseitigen. Sie sorgt dafür, dass die beiden Liebenden zusammen erwischt werden, woraufhin Amarilli zum Tode verurteilt wird. Mirtillo will an ihrer statt sterben, wird aber verschont, als ans Licht kommt, dass er Silvios lang verschollener Bruder ist. Der blinde Seher Tirenio erkennt Mirtillo als den treuen Schäfer, den das Orakel geweissagt hat. Mirtillo heiratet Amarilli, Silvio heiratet Dorinda, und Arkadien atmet auf.
Mirtillos Musik ist vorwiegend melancholisch, Amarilli und Dorinda streifen zuweilen das Tragische. Im Gegensatz dazu wird Silvio leicht überzeichnet dargestellt. Der bemerkenswerteste Part jedoch ist der von Eurilla, dessen Dynamik Eurillas Rolle als handlungstreibende Figur des Dramas gerecht wird: Sie hat einen großen Anteil an den Bravourarien, die strahlender, brillanter und üppiger orchestriert sind als die der übrigen Charaktere. Das am reichsten instrumentierte Stück der Oper ist jedoch die Ouvertüre, die weder Teil des Autographs war, noch der Partitur in Händels Sammlung. Es ist ein ausgewachsenes Concerto in sechs Sätzen, das wahrscheinlich im Zuge einer früheren Komposition entstand.
Die Edition der Hallischen Händel-Ausgabe vergleicht mehrere Quellen, die Chrysander nicht zur Verfügung standen, und ist insofern bemerkenswert, als sie die erste moderne Edition der kompletten Ouvertüre bereitstellt, ebenso die vollständigen Bühnenanweisungen des Librettos und das alternative Ende für Mirtillos und Amarillis Duett im dritten Akt.
Suzana Ograjenšek
(aus [t]akte 2/2019 – Übersetzung: Ina Rudisile