Ein Zeitgenosse sah in Händels Oper „Berenice“ nur Flickwerk, doch hat sie viele kleine Kostbarkeiten zu bieten. Im Mai kommt „Berenice“ in Halle wieder auf die Opernbühne.
Wenn sich am 25. Mai 2018 an der Oper Halle der Vorhang zur Premiere der ersten Inszenierung von Händels Berenice, Regina d‘Egitto nach der neuen Partitur der Hallischen Händel-Ausgabe hebt, dann werden alle überlieferten Opern Händels in Hallenser Neuinszenierungen auf die Bühne gebracht worden sein. Halle ist damit weltweit die erste Stadt, die sich solch einer Inszenierungsleistung rühmen darf.
Dass gerade Berenice am Ende der Reihe steht, mag Zufall sein, ist aber auch nicht ganz unbegründet: Händels Oper, am 18. Mai 1737 im Londoner Covent Garden Theatre uraufgeführt, gehört zu den weniger bekannten Werken des Komponisten und wurde in der Vergangenheit durchaus kritisch bewertet. Winton Dean sah in dem Libretto ein „botched piece of work“, ein Flickwerk, in dem eine unwahrscheinliche Bühnensituation die nächste jage. Nun ist der Dichter des Vorlagelibrettos durchaus kein Unbekannter: Antonio Salvi schrieb Berenice 1709 für das Medici-Theater in Pratolino; Händel griff auf dessen Texte in insgesamt sieben Opern zurück, darunter Rodelinda von 1725 und Ariodante von 1734.
Salvis Text ist bereits im Original von einer gewissen Sprunghaftigkeit gekennzeichnet, und die Londoner Bearbeitung, die bei den Rezitativen extreme Kürzungen vornimmt, macht das Intrigenspiel zwischen zwei Großmächten – Rom und Pontos – um die Vorherrschaft in Ägypten und damit um die Hand der Königin Berenike III. († 80 v. Chr.) zusätzlich unklar. Dennoch kann man dem Libretto keine logischen Unstimmigkeiten vorwerfen; es bietet in extremer Konzentration und Zuspitzung ein barockes Lehrstück für die im Schlusschor benannten „Gare di Politica e d'Amor“, für die Konflikte zwischen Politik und Liebe.
Ein Zeitgenosse Händels, der Earl of Shaftesbury, besuchte am 12. Mai 1737 eine Probe der „charming Berenice“, aus der er ein „inexpressible delight“, ein unaussprechliches Vergnügen, zog. Der Earl vertritt in seinem Bericht die Meinung, dass die drei Akte der Oper unterschiedlich gewichtet seien: Der erste sei „mostly in the agreable strain“, der zweite „more in the great taste“ und der dritte eine Kombination aus „great & pleasing“. Er sieht in Berenice also eine Mischung zwischen mittlerem und hohem Stil. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass Händel im Zuge der Arbeit an der Oper gezielt pathetische Elemente herausgenommen oder abgeschwächt hat, um sie durch eher angenehme und heitere Affekte zu ersetzen.
In diesem Rahmen einer leichten, „mittleren“ Oper bietet Berenice musikalische Kostbarkeiten in großer Fülle: Berühmt geworden als „Minuet from Berenice“ ist der zweite Satz der Ouvertüre, berühmt geworden ist auch die ausgedehnte Arie der Berenice im dritten Akt, in der sie im Duett mit dem Solooboisten (damals Giuseppe Sammartini) über die Unbeständigkeit des Gottes Amor nachdenkt; bezaubernd sind die musikalischen Malereien, die Händel eingearbeitet hat, so die Nachahmung des Bienensummens in Fabios „Vedi l’ape“ und des traurigen Gurrens einer Taube in Selenes „Tortorella che rimira“.
Die Vorabpartitur der Hallischen Händel-Ausgabe bietet den Notentext der Uraufführung vom Mai 1737. Der für 2019 geplante vollständige Band wird auch diejenigen Stücke enthalten, die Händel im Vorfeld der Premiere herausgenommen oder gekürzt hat.
Wolfgang Hirschmann
(aus [t]akte 1/2018)