„Chlestakows Wiederkehr”
Giselher Klebes neue Oper nach Nicolai Gogols Komödie „Der Revisor“, wurde am 11. April 2008 am Landestheater Detmold uraufgeführt.
takte: Bei der Arbeit am Libretto haben Sie die originale Handlung von Gogols „Revisor“ deutlich verändert.
Giselher Klebe: Diese Notwendigkeit war mir schnell klar, weil mir insbesondere der Schluss des Schauspiels nicht gefiel.
Sie haben Ihrer Oper mit „Chlestakows Wiederkehr” einen anderen Namen gegeben, was auf Veränderungen in der literarischen Vorlage hinweist. Wie kam es zu diesem Operntitel?
Die Figur des Revisors als großer Täuscher war mir nicht allein ausschlaggebend. Ich sprach mit Peter Härtling über das noch unbetitelte Libretto und er schlug vor: „Nenn’ es doch einfach Chlestakows Wiederkehr, denn das ist das Entscheidende in dem Opernstoff.“ Diesen Vorschlag habe ich aufgegriffen.
Durch die Nennung des Namens „Chlestakow“ im Titel erfährt das Publikum etwas von einer der Hauptpersonen: Chlestakow, ein Schlitzohr, spielt seine ihm durch die Verwechslung zugewachsene Rolle als vermeintlicher Revisor bereitwillig mit – zumal sie sich als einträgliches Geschäft erweist und ihm auch den Zugang zu den höchsten Häusern eröffnet, wo er als gute Partie entsprechende Chancen hat. Das Publikum bemerkt diese Verwechslung natürlich sofort, die Einwohner der kleinen Stadt jedoch nicht, woraus sich wunderbare komödiantische Effekte ergeben.
Der für mich entscheidende Punkt der von mir in einem kleinen Dreh veränderten Handlung: Die Leute in dem kleinen Provinzstädtchen entdecken schließlich, dass sie sich die ganze Zeit von einem falschen Revisor nasführen ließen, der aber inzwischen abgereist ist, da er befürchten musste, dass man ihm allmählich auf die Schliche kommt. Soweit Gogol. Ich lasse ihn jedoch zurückkommen – nach dem Motto: „Kinder, wir können uns doch alle zusammentun, denn ich bin unterwegs dem echten Revisor begegnet. Mit dem werde ich schon fertig.“ Eine Hand wäscht die andere.
Das Textbuch habe ich im Verhältnis zum Original sehr stark zusammengestrichen und auch sprachlich vollkommen verändert. Mir kam dabei die Idee, etliche Gegenwartsbezüge einzufügen.
Gleich zu Beginn ist von der „Stallpflicht“ für das Federvieh die Rede, eine Vorsichtsmaßnahme, von der Gogol noch nicht wusste. Köstlich am Schluss die Kombination landläufiger Redewendungen mit begrenztem literarischen Wert: „Wir werden das Kind schon schaukeln. Aber wir müssen es erst in trockene Tücher bekommen.“ – Das Zeitlose der Handlung deuten Sie im Vorspann der Partitur an: „Zeit: Postkutschenzeit, aber jederzeit möglich.“
Ja, es ist ein aktueller Stoff, weil solche Blendungen immer wieder vorkommen. Was mir auch sehr gefällt, dass man sich am Schluss zusammentut, um – wie man in Berlin sagt – zu versuchen, gemeinsam den Laden zu schmeißen. Dann dachte ich noch, ich werde das Ganze abschließen mit einem Verdi-Boito-Zitat aus dem Falstaff: „Tutto il mondo è burla“, aber ohne Schlussfuge! Die ganze Welt ist ein Tollhaus, das ist ein deutlicher Textbezug, aber natürlich zitiere ich auch ein musikalisches Motiv aus dem Verdi-Schluss. Da der Chlestakow bei mir am Ende der Oper zurückkehrt, bot sich die Gelegenheit, eine beginnende Liebelei mit der Tochter des Bürgermeisters einzubauen.
Das ist auch bei Gogol schon angelegt.
Ich habe dies schon im Original als „positiven Knackpunkt“ empfunden, aber im Textbuch noch stärker hervorgehoben.
Verdi war ungefähr in Ihrem Alter, als er den „Falstaff“, seine heiterste Oper geschrieben hat. Auch Sie haben sich – abgesehen von dem Einakter „Das Rendezvous“ – mit Ihrem neuen abendfüllenden Werk erstmals einem heiteren Stoff zugewandt. Was ist an dem Heiteren so schwer, dass Sie sich diesem Phänomen erst nach einer so langen Beschäftigung mit dem Genre „Oper“ zuwenden?
An sich ist Musik weder heiter noch traurig, sie ist – ganz nüchtern formuliert – ein klingender Vorgang, der vielleicht durch beigefügte Texte zu dem wird, das wir als „heiter“, „traurig“ oder was auch immer bezeichnen. Warum es so ist, vermag ich nicht zu beantworten, doch scheint es offensichtlich leichter zu sein, ein elegisches, trauriges Stück zu komponieren als ein heiteres. Das mag auch daran liegen, dass es nicht so viele komponierbare heitere Texte gibt. Besonders hier muss man den gesungenen Text Silbe für Silbe verstehen können. Es gehört mit zu den schwersten Aufgaben, einen Text so zu komponieren, dass er auch gesungen verstanden werden kann.
Außerdem wird er bei der Musikalisierung zeitlich gedehnt. – Es ist zweifellos leichter, einen Sänger mit Instrumenten zuzudecken als ihn im besten Wortsinn zu begleiten und dabei durchzulassen.
Auch wenn man ihn nicht zudeckt, kann man sich dennoch leicht fragen, wozu denn überhaupt die Musik da ist. Eine reizvoll-schwere Aufgabe besteht also darin, die Notwendigkeit der Musik immer zu beweisen und trotzdem den Text und seine Pointen wirkungsvoll zu transportieren.
Sobald dies funktioniert, erweist sich die Musik mit ihren auf den Text ausstrahlenden Perspektiven, Ausleuchtungen als notwendig – weil sie bereichernd wirkt. Hinzu kommt neben all den dramaturgischen Aspekten, den aufführungs-, bühnenpraktischen Gegebenheiten, die wiederum für das Funktionieren einer Oper als Ganzes verantwortlich sind, der zeitliche Ablauf, überhaupt das „Timing“ im Kleinen wie im Großen: Wie lang muss bzw. darf beispielsweise die Musik sein, die zu einem bestimmten Ausschnitt aus der Handlung erklingt?
Ich fand speziell diese Überlegungen beim Komponieren von Opern immer mit am inspirierendsten. Prinzipiell gilt dies für jede Komposition, für Opern jedoch in besonderer Weise: Die Unterschiede im Tempo des Schreibens der Musik und die zeitlichen Abläufe bei der Aufführung sind halt sehr unterschiedlich, so sehr, dass man immer die Realisierbarkeit im Auge behalten muss. Dabei orientiere ich mich an den Möglichkeiten, von denen ich erfahrungsgemäß ausgehen kann. Es ist nicht meine Art andere zu zwingen, etwas zu realisieren, was wahrscheinlich unmöglich ist.
Am Schluss des Gesprächs greift Giselher Klebe überraschend zu seinem Portemonnaie, um mit großer Vorsicht ein schon leicht brüchig gewordenes Papier herauszuziehen. Auf dem Zettel, den Klebe ganz offensichtlich schon seit vielen Jahren bei sich trägt, ist eine Maxime des Komponisten Darius Milhaud zu lesen: „Das Wichtigste ist das Vitale, die Melodie, die leicht zu behalten sein, gesummt und auf der Straße gepfiffen werden muss. Ohne dieses fundamentale Element kann die Technik in der ganzen Welt nur ein toter Buchstabe sein.“
Das Gespräch fand am 13. Dezember 2007 statt, Gesprächspartner war Michael Töpel