Bei der Premiere an der Bayerischen Staatsoper im Oktober 2014 wird die erste kritische Edition von Leoš Janáčeks Oper Die Sache Makropulos verwendet. Die Arbeit an der Edition barg zahllose Schwierigkeiten, das Ergebnis jedoch stellt das Ungewöhnliche wieder her.
Die Sache Makropulos, Leoš Janáčeks vorletzte Oper auf die brillante literarische Vorlage von Karel Čapek, zeigt ihn auf der Höhe seiner Kunst. Die Person der 300-jährigen Sängerin Emilia Marty ist von einer schillernden Faszination, die noch durch Janáčeks musikalische Charakterisierungskunst zusätzlich hervorgehoben wird. Doch ist die Aufführungsgeschichte von vielfältigen Verfälschungen im Notentext gesäumt. Bereits die erste Ausgabe, vor allem aber die Edition aus den 1970er Jahren, haben stark in die Musik eingegriffen. In der Absicht einer vorgeblich besseren Leserlich- bzw. größeren Durchhörbarkeit wurden zahllose Änderungen der Instrumentierung, der rhythmischen und der harmonischen Notierung vorgenommen, die aus heutiger Sicht unverständlich und als verfälschend erscheinen.
Die Rekonstruktion der Uraufführungsfassung
Die kritische Neuausgabe von Die Sache Makropulos, die im Oktober 2014 in München erstmals verwendet werden wird, rekonstruiert die Fassung der Uraufführung, die am 18. Dezember 1926 unter der musikalischen Leitung von František Neumann im Nationaltheater von Brno stattfand. Hauptquelle für den Prozess der „Freilegung“ der Partitur ist die unter Janáčeks Aufsicht erstellte Abschrift von Jaroslav Kulhánek, die heute im Janáček-Archiv in Brno verwahrt wird. Darin finden sich neben interessanten Ergänzungen aus der Entstehungsphase zahlreiche Eintragungen späterer Dirigenten, die es zu isolieren und dann zu bewerten gilt. Auch das Autograph des Komponisten sowie das handschriftliche Exemplar des Klavierauszugs von Ludvík Kundera, das bei der Uraufführung Verwendung fand, sind wichtige Quellen dieser Fassung, die zu Rate gezogen werden. Neben der Partitur entsteht anhand der musikalischen und literarischen Quellen eine kritische Edition des Librettos in der Fassung der Uraufführung. Sie ermöglicht spannende Einblicke in den Entstehungsprozess dieses Meisterwerks. Nebenbei werden unzählige Fehler und Unklarheiten alter Ausgaben ausgeräumt.
Eine Rückkehr zu Janáček
Auf Basis der originalen Quellen ergänzt der ausgewiesene Janáček-Spezialist Tomáš Hanus, der sie bereits für sein Pariser Dirigat vor zehn Jahren eingehend studiert hatte, vorsichtig und nah am originalen Klangbild die tatsächlich notwendige Dynamik, klärt Tempoübergänge und andere praxis-
relevante Fragen. Für Hanus handelt es sich bei der neuen Edition um eine Rückkehr zu Janáček, denn in der Geschichte der Interpretation dieser Oper kam es zu einer Reihe von Eingriffen, von denen ein großer Teil nur bedingt oder überhaupt keine Grundlage in den relevanten Quellen hat. Die Sache Makropulos ist für ihn eine sehr „schwierige Partitur“, die nicht allzu viele detaillierte und eindeutige Informationen enthält, was zu vielen „Vereinfachungen“ und „Anpassungen“ geführt hat. Hanus hofft, dass die gemeinsame Arbeit „einen ehrlichen Blick auf die Absicht des Komponisten bietet“.
Zu den Schwierigkeiten bei der editorischen Arbeit sagt der tschechische Dirigent: „Die einzigartige (und oft unlesbare) Handschrift des Komponisten und die Überarbeitungen und Ergänzungen während der Abschrift des Werkes – das sind zwei der Tatsachen, die an sich schon problematisch sind, auch wenn sie zugleich für die wertvolle Originalität des Schaffensprozesses stehen. Wenn wir noch berücksichtigen, dass Janáček oft nicht allzu sehr ins Detail ging, so dass wir an vielen Stellen, wo es erforderlich wäre, keinerlei Anweisungen zur Interpretation vorfinden, ist das Ergebnis eine relativ rohe Fassung. Für die Edition, die das Werk in seiner objektiven Reinheit und zugleich in einer für die Interpretation praktischen Form präsentieren will, die Aufführungen ermöglicht, hatte das eine Reihe schlafloser Nächte für meine Kollegen und mich zur Folge …“
Den Beitrag von František Neumann schätzt er wie die anderen Herausgeber als sehr wertvoll ein, ebenso die von Janáček eingetragenen Änderungen. Leider gibt es aber auch einige uneindeutige Anmerkungen Janáčeks, die sich zum Teil widersprechen, so dass auch hier detektivische Arbeit erforderlich ist.
Gerade das Unvollständige und die Uneindeutigkeit von Partitur und Quellen haben für Hanus einen besonderen Reiz: „Dies war für mich von Beginn an ein Grund, mich mit der Sache Makropulos auf ganz eigene Weise zu beschäftigen. Vielleicht kann daher gerade in diesem Fall die Mitarbeit eines Dirigenten an der Edition sinnvoll sein, denn es geht ja darum, dass die Partitur so verständlich wie möglich erscheint und bei Wahrung der Offenheit für verschiedene mögliche Interpretationen genügend Informationen bietet.“ Gleichwohl weiß er, dass man in einem solchen Fall nicht ohne – natürlich gekennzeichnete – editorische Eingriffe auskommt, die das Unverständliche, nicht vollständig Ausgeführte vorsichtig übermitteln. Tempoangaben, Angaben zu Phrasierung, Dynamik und Artikulation werden also klar erkennbar ergänzt, wo es notwendig ist. Das Ungewöhnliche jedoch bleibt erhalten.
Johannes Mundry
(aus [t]akte 1/2014)