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Oper als Prozess. Das Pasticcio „Love in a Village“ und seine Entstehung

Love in a village (1762). Ballad Opera in drei Akten. Libretto von Isaac Bickerstaffe. Hrsg. von Berta Joncus, Vanessa Rogers und Žak Ozmo. OPERA – Spektrum des europäischen Musiktheaters in Einzeleditionen

Besetzung: Rossetta (Sopran), Lucinda (Sopran), Young Meadows (Tenor), Hawthorn (Tenor), Hodge (Tenor) Margery (Mezzosopran) Eustace (Tenor), Justice Woodcock (Tenor/Bariton) – Chor

Orchester: 2 Flauti traversi, 2 Bfl, 2 Ob , 2 Fag, 2 Hn, 2 Vl, Va, B. c. (Vc, Kb, Fag, Cemb). Verlag: Bärenreiter, BA 8814

Bild: Johann Zoffany (1733–1810): Eine Szene aus „Love in a Village“

In der ambitionierten Editionsreihe „OPERA“ erscheint „Love in a Village“, im 18. Jahrhundert Nummer eins auf der britischen Insel, heute nahezu vergessen.

„Love in a Village“ aus dem Jahr 1762 war im 18. Jahrhundert die populärste Oper in London. Mit 40 aufeinanderfolgenden Aufführungen schon 1768 in New York und einer achtzigjährigen Präsenz auf den Spielplänen hatte die Oper eine unangefochtene Stellung bis ins 19. Jahrhundert. Warum aber gab es nie eine kritische Ausgabe? Weil es eine komische, englische Pasticcio-Oper ist, in der sich Dialoge mit Arien abwechseln. Musikforscher des 20. Jahrhunderts machten einen Bogen um solche „Kompositionen“. Doch dank Modul 1 der Reihe „OPERA – Spektrum des europäischen Musiktheaters“ bekommen sie nun die Aufmerksamkeit, die ihnen zusteht. „Love in a Village“ verdient die Aufnahme in „OPERA“ nicht allein wegen ihres damaligen Ruhms, sondern auch, weil sie uns Autor- und folglich Herausgeberschaft neu überdenken lässt.

Wie diese Hybridedition offenlegt, war Thomas Arne nicht der musikalische Kopf hinter „Love in Village“,wie es immer angenommen wurde. Vielmehr war das Werk die Schöpfung des Tenors und Covent-Garden-Leiters John Beard, aus dessen Repertoire aus Oratorien sowie Theater- und Lustgarten-Arien der Großteil der Nummern stammt. Nahezu sicher ist es, dass Beard die düstere Ballad Opera „The Village Opera“ bei der Erstellung des Librettos für „Love in a Village“ heranzog. Durch eine einmalige Wiederaufnahme von „The Village Opera“ fünf Jahre zuvor wusste Beard, dass darin unüblicherweise zwei Heldinnen vorgesehen waren, für die er die Starsängerin Charlotte Brent und die 16-jährige Isabella Hallam einsetzte. Für diese beiden Sängerinnen wurden aus damals bekannten italienischen Opernarien englische Bearbeitungen erstellt. Um aus „The Village Opera“ das Werk „Love in a Village“ zu machen, stellte er Isaac Bickerstaffe an, den Kritiker später den „dramatischen Flickschuster“ nannten. Seinem Spitznamen getreu verknüpfte Bickerstaffe für das Libretto die "Village Opera“ von 1729 mit „The Gentleman Dancing-Master“ von William Wycherley, einer Farce von 1673. Dabei schuf er Szenen nicht allein für die Sänger, sondern auch Lieder für singende Schauspieler. Die einzigen neuen Szenen sind die Tenornummern für Beard.

Beard verpflichtet den Trompeter Edwards Toms, um die entliehene Musik zu arrangieren. Die falsche Zuschreibung von „Love in a Village“ an Thomas Arne geht auf Charlotte Brent zurück, seine Schülerin und spätere Geliebte. Sie war für ihre Auftritte mit Arnes Musik bekannt. Konsequenterweise bearbeitete Toms Arien von Arne, die sie zuvor noch nicht gesungen hatte. Arne selbst steuerte eine neue Arie für sie bei. In sein „Kompositionsteam“ nahm Arne auch den Gambenvirtuosen Carl Friedrich Abel auf, der, neu in London, eine fantastische Ouvertüre schuf. Vor Dezember 1762 hatte Abel lediglich ein öffentliches Konzert gegeben, so dass „Love in a Village“ seiner Londoner Karriere einen entscheidenden Schub gab. Wie das digital vorliegende Quellenmaterial zeigt, zog Abels brillante Ouvertüre in Form einer dreisätzigen Sinfonie zu Recht die Aufmerksamkeit auf sich. Neben den veröffentlichten Textbüchern liegen auch gesetzte Stimmen und Klavierauszüge vor, die allesamt über die Edirom-Plattform eingesehen werden können.

Aus editorischer Sicht scheint „Love in a Village“ leicht zu handhaben: Eine Reinschrift im Royal College of Music (MS RCM 342) ist die einzige maßgebliche musikalische Quelle. Jedoch enthält das Manuskript Änderungen, und nur der minutiöse Vergleich mit den Textbüchern erbringt eine Erkenntnis über die drei Fassungen, die zwischen dem 8. Dezember 1762 und dem 8. Februar 1763 aufgeführt wurden. Was zur endgültigen Fassung wurde, bestimmte allein das Publikum: Dies waren Nummern, mit denen die Sänger ihre Fähigkeiten am besten präsentieren konnten.

Anhand der digitalisierten Primärquellen für die OPERA-Edition können Nutzer auf einen Blick sehen, dass die Macht der Sängerstars die Motoren für die allmähliche Veränderung waren.   

Berta Joncus
(aus [t]akte 2/2018 – Übersetzung: Johannes Mundry)

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