Was sind schon 260 Jahre? Goldonis „Der Impresario von Smyrna“ lässt sich mühelos in unsere Zeit holen, denn auch heute tragen Menschen ihre Haut im Theaterbetrieb zu Markte. Die neue Oper von Ľubica Čekovská macht aus dem Stoff eine musikdramatische Tragikomödie.
Ein ausländischer Magnat lässt eine Gruppe von Sängern zum Casting für ein neues Opernhaus in Übersee anreisen, ein Agent organisiert in einem Hotel das Treffen mit überraschendem Ausgang. Schon bei Carlo Goldoni schuf das Szenario seines Stück L‘impresario delle Smirne 1759 Gelegenheit zu einer witzigen und tiefgründigen Satire über die Eitelkeiten und Abgründe des Opernbetriebs, die nicht zuletzt die gnadenlose Kehrseite des Kunstschaffens bloßstellte: Er zeigt Menschen, die ihre Haut zu Markte tragen und sich in ihre überdrehten Rollenmuster hineinsteigern, um ihre prekären Lebensverhältnisse zu überspielen, zu gefallen und Erfolg zu haben.
Eine zeitgenössische Version des Stoffes haben Ľubica Čekovská und ihre Librettistin Laura Olivi in der Oper Impresario Dotcom geschaffen, die von den Bregenzer Festspielen und dem Nationaltheater Bratislava beauftragt wurde. Goldoni erfand sein Theater auf dem Theater in mehreren Komödien. Immer geht es ihm um die Entwicklung seiner neu erfundenen Charakterkomödie – die handelnden Figuren sind nicht mehr typisiert wie in der Commedia dell’arte, sondern werden zu individuell gezeichneten Charakteren. In L‘impresario delle Smirne suchen sechs Personen – fünf Sänger und ein Agent – einen Geldgeber. Die Komödie wirft ein virtuoses und geistreiches Schlaglicht auf den Opernbetrieb seiner Zeit, mit allen Höhen und Tiefen.
Laura Olivi und Ľubica Čekovská drehen die Schraube eine Wendung weiter: Ihre Protagonisten heißen Olympia, Violetta, Carmen, Tamino und Orfeo und kommen aus aller Herren Länder. Die Autorinnen benutzen die namensgebenden Rollenprofile, um die Menschen dahinter hervortreten zu lassen und ihre Beziehungen zu entwickeln. Die den Rollen innewohnende Tragik der Figuren schwingt jeweils mit. Dotcom – Anspielungen auf den Internet-Hasardeur sind nicht zufällig – radebrecht in gebrochenem Italienisch und stellt überraschende Anforderungen an die Sänger mit abstruser Pointe.
Von Beginn an wurde das Konzept der Oper von Ľubica Čekovská zusammen im Team mit der Librettistin Laura Olivi und der Regisseurin Elisabeth Stöppler und Olaf Schmidt, dem Dramaturgen der Bregenzer Festspiele, entwickelt. Leute von heute sollen als Persönlichkeiten in der Handlung agieren, deshalb flossen Interviews mit Sängern in das Libretto ein.
In ihrer musikalischen Umsetzung arbeitet Ľubica Čekovská mit mehreren polystilistisch entwickelten Ebenen. Das internationale Personal auf der Bühne wird auch musikalisch einem Maskenspiel unterworfen. Die Komposition zitiert die Musik der Vergangenheit und demontiert sie anschließend, um die Charaktere hinter den Rollen zu zeigen. Mehr und mehr werden diese demaskiert, sie stehen schließlich im wahrsten Sinne nackt da. Dotcom tritt mit einer roboterhaft fragmentierten Sprache auf, er kommt aus einer hochtechnisierten Welt.
„Wir alle spielen Rollen in unserem Leben“, sagt Ľubica Čekovská, „und es geht um die Frage, wer wir, wer die Personen dahinter sind. Mir ist bei dieser Komposition besonders wichtig gewesen, dass wir die Figuren mit ihren Arien aus dem Opernrepertoire auftreten lassen, meine eigene musikalische Sprache dem entgegenzusetzen und aus den einzelnen Archetypen wahrhafte Figuren zu entwickeln. Wir als Künstler wollen überleben und spielen deshalb unsere Rollen. Diese Oper zeigt, wie wir versuchen, uns vor Autoritäten oder Agenten bestmöglich darzustellen. Die Sänger in der Oper legen sich dazu bestimmte Attitüden zu. Die Herausforderung für die Komposition war, ohne eklektisch zu sein, mit den historischen Elementen umzugehen. Also spiele ich von Beginn an mit dem musikalischen Material und entwickle daraus rhetorische Figuren. Die Komposition durchschreitet verschiedene stilistische Bereiche, zu denen auch die computerhafte Musik des Dotcom gehört.
Das italienische Libretto ist sehr dicht geschrieben, die Sprache sehr geschäftig, geradezu neurotisch. Die Musik muss demgegenüber das Tempo schaffen, die Pausen, in denen es auch möglich ist, Atem zu holen. Die roboterhafte Sprache des Dotcom ist eine Gegenwelt zu den Sängern, und dieser Autorität möchten sie gefallen, sie sich aneignen, damit sie den Job bekommen. Und doch wollen sie als Individuen wahrgenommen werden. Der Agent Conte Lasca steht dazwischen, auch er möchte engagiert werden, ist ambivalent. Nicht zuletzt ist bei Sängern das Besondere, dass sie, ihre Körper, ihr Geist, ihre eigenen Instrumente sind. Damit arbeite ich auch musikalisch. Für mich ist die Komposition eine Reise in die Körper, Köpfe, Seelen und Herzen der Figuren, ihre Empfindsamkeit. Die Handlung eskaliert zum Schluss in abstruser und fast grausamer Weise, das Casting wird zu einer Art Haifischbecken für die Sänger. Die überraschende und absurde Schlusswendung sorgt für einigen Witz – doch hier möchte ich nicht zu viel verraten.
Es ist natürlich eine besondere Herausforderung, eine komische Oper zu schreiben, letztlich ist Komik nicht kalkulierbar und entsteht im Zusammenwirken vieler Komponenten. Und diese Geschichte hat für mich auch viel Trauriges und Tragisches. Wenn ich mich in die Sänger in dieser Situation hineinversetze, leide ich mit ihnen. Und was ihnen widerfährt, geschieht auch tagtäglich mit uns allen.“
Das Theater ist hier, wie bei Goldoni, ein Abbild der Welt.
Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 1/2020)