Die slowakische Komponistin Ľubica Cekovská wurde vom Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera zum Composer in Residence für die Saison 2010/2011 ernannt. Am 15. September wird ihr erstes Violinkonzert durch das thüringische Orchester unter der Leitung seines neuen Generalmusikdirektors Howard Arman uraufgeführt und am 20. April 2011 wird ihr Orchesterstück „Adorations“ in Altenburg seine deutsche Erstaufführung erleben.
Im Interview gibt sie Auskunft zu ihrem Leben und Komponieren.
takte: Sie arbeiten mit Farbe, Dichte und Harmonie in einer besonderen Zeit. Wie sieht Ihr Vorgehen beim Formen der Dramaturgie einer Komposition aus? Wie verarbeiten Sie einzelne Parameter? Gibt es einen, der Sie mehr interessiert als andere?
Cekovská: Soweit es geht, fange ich immer auf der Basis eines Musikimpulses zu schreiben an, einer Idee, manchmal auch einer außermusikalischen Inspiration. Mit dieser Idee arbeite ich lange, an allen ihren Variationsfähigkeiten; ich verstehe sie als eine Zelle mit einer kompletten DNA-Information, daher trenne ich selten die Harmonie vom Rhythmus und von der Form. Ich versuche immer, „mit allen Parametern gleichzeitig an einem einzelnen Parameter“ zu arbeiten. Was die Zeit und die Form betrifft: Ich mag lieber kürzere Kompositionen mit einem absolut ausgenutzten Zeitraum, wobei ich aufhöre, reale Minuten physisch wahrzunehmen und meine ganze Wahrnehmung dem musikalischen Geschehen gehört. Wenn ich plötzlich „aus dem Zug“ herausfalle, entweder wegen einer nicht geglückten Form oder wegen für mich unklarer musikalischer „Geschehnisse“, steige ich mit Schwierigkeiten wieder ein. Aber selbstverständlich kann man es verzeihen, wenn mir die Musik am Ende der Komposition erklärt, wieso es dazu gekommen ist …
Deshalb bedeutet meine Aufgabe im Komponieren, sich ununterbrochen darauf zu konzentrieren, was außen und innen geschieht. Die musikalische Form ist für mich eine Zusammensetzung aller Parameter, die die Zeit betreffen. Mein Credo lautet: Nicht die Form macht die Musik, sondern die Musik die Form.
Ihre Kompositionen verbergen hinter einem abstrakten Titel ganz private Aussagen. Was sind das für Ereignisse? Soll der Interpret und der Hörer sie kennen?
Ich sehe keine Notwendigkeit, mit dem Namen der Komposition zu offenbaren, was sich in ihrem Inneren abspielt. Ich will mich nicht allzu sehr entblößen, vielleicht deswegen, weil ich dem Zuhörer nicht einflößen will, wo der „Schlüssel“ zur Lösung der Musikproblematik liegt. Er soll sich die Mühe selbst machen. Es sind meine persönlichen Aussagen. Als ich angefangen habe, an der Komposition Adorations zu arbeiten, habe ich den Titel erst zum Schluss gefunden. Ich habe gewusst, dass das Stück irgendwie die Situation reflektieren wird, in der ich das Angebot zum Schreiben einer Orchesterkomposition bekommen habe, dass sie etwas über meine junge Mutterschaft aussagen wird oder über unlängst gestorbene nahe Menschen, über die Verherrlichung des Lebens und des Todes, über Trauer und Freude. Doch bei allem spielt die Überschrift bei mir fast nur die Rolle einer Metapher, quasi eine „Inspiration von außen“, übertragen ins „Innere“ des Musikgeschehens, wo ich mich ausschließlich von Musikattributen der Komposition selbst führen lasse.
Ihre Musik führt üblicherweise zum Moment der Versöhnung, der Tröstung. Ist es das Gleiche, was Martinů „Fensterchen in den Himmel“ nannte?
Noch niemals habe ich eine meiner Kompositionen so gesehen. Wenn ich in den Anfängen die Bausteine vorbereite, gehe ich von dem alten Prinzip des Bogens „Exposition – Durchführung – Schluss“ aus. In der Exposition fordere ich die Musik heraus, in der Durchführung kämpfe ich mit ihr und im Schluss verlasse ich sie. Und vielleicht ist das auch ein Bild meiner selbst, da ich ungern ohne Versöhnung weggehe, wenn ich mit jemandem einen Kampf anfange. „Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.“ Das ist für mich aber selbstverständlich nur eine metaphorische Parallele zu meinem eigenen „Musikkonsens“.
Sie sind „Jazzmusikerin“. Was haben Jazz und Musik der Gegenwart gemeinsam – auch auf der tiefsten Ebene von Denken, Fühlen und Schaffen? Und noch weiter: was haben alle Arten von Musik gemeinsam?
Nein, ich bin keine Jazzmusikerin. Ich meine, die Beschäftigung mit Jazz verlangt eine andere Art von musikalischem Denken. Ich spiele im Orchester Bratislava Hot Serenaders, das sich der authentischen Interpretation von New-Orleans-Jazz widmet. Für mich bedeutet es einen „Genre-Ausflug“, genau wie das Schreiben für Film und Theater, aber auf keinen Fall verbinde ich das mit meinem Komponieren von ernster Musik. Es sind für mich zwei gegensätzliche Musikprinzipien. Jazz ist für mich ein „geschlossener Kreis“, ein „Karussell mit einem Thema“, dagegen stellt eine E-Musikkomposition eine „gedachte Linie“ dar, die irgendwo hinführt, in eine neue und unbekannte Welt. Es ist eine grundsätzlich andere Weise eines abenteuerlichen musikalischen Schaffensweges. Der Unterschied zwischen Jazz und moderner E-Musik liegt eindeutig in ihrer unterschiedlichen Funktion. Eggebrecht unterscheidet in seinem Essay „Die Musik und das Schöne“ zwischen Kunst- und Unterhaltungsmusik. Die erste Art wird zur Existenz für sich selbst bestimmt, ihr Inneres wird durch keine Zweckmäßigkeit oder Ziel beeinflusst, sie ist autonom, frei. Die andere hat ihre deutlich sichtbaren Konfigurationen. Obwohl ich ungern diese beiden Welten auf einen Nenner bringe, sind sie durch die magische Fähigkeit verbunden, den Menschen in seine „Zeitraumgefangenschaft“ zu führen. Das ist an der Musik das Faszinierende, trotz der unterschiedlichen Aussagen.
Wie war es, vom Studium in England in die Slowakei zurückzukehren und sich dort eine Existenz als Komponistin aufzubauen?
Die Rückkehr empfinde ich als einen Sprung in ein bequemeres und langsameres Tempo und in eine ziemlich andere Musik-Atmosphäre, denn nach einiger Zeit in London musste ich feststellen, dass es überhaupt nicht einfach ist, entspannt zu komponieren, und gleichzeitig ständig nach einem Job zu schauen. Ich denke, dass diese zwei Jahre, bei vollem Studium an der Königlichen Musikakademie, bei häufigen Konzertbesuchen, ein nachfolgendes „tacet“ nötig machten, um mindestens für eine Weile zur Ruhe zu kommen und das ganze „Paket“ an Informationen, Lern-stoff, Erlebnissen und Eindrücken, das ich aus England nach Hause gebracht habe, zu verarbeiten. Und es gab erheblich mehr Gründe nach Hause zu kommen. Aber: Ein Komponist braucht unbedingt den Kontakt zur „großen“ Welt, um festzustellen, wo er sich eigentlich befindet.
Die Fragen stellten Miroslav Srnka und Jana Urbanová