Francesco Filidei gehört zu den wichtigsten italienischen Komponisten seiner Generation. In seiner musikalischen Sprache findet man direkt nebeneinander extrovertierte, ikonoklastische und auch romantische Seiten, klangausdünnende und kinetische Prozesse sowie elementare Materialien wie elaborierte Ausdrucksweisen.
Filidei wurde 1973 in Pisa geboren und erhielt seine musikalische Ausbildung zunächst am Konservatorium von Florenz, danach studierte er in Paris und unter der Anleitung von Salvatore Sciarrino weiter. Die Arbeiten seiner ersten Periode sind geprägt von einer nervösen, geräuschhaften und körperlosen Klangsprache. Exemplarisch dafür sind das Streicheln des Klaviers in Toccata (1995), die Klänge des Speichels, der Zähne, der Atmung im Inneren des eigenen Körpers in Antinoo (1999), die Liegeklänge an der Hörschwelle und die dumpfen Explosionen in Macchina per scoppiare i Pagliacci (2005), die leichte, erheiternde Handlung in Puccini alla caccia (2006), die, angereichert durch Pfiffe, Vogelrufe und Lotusflöten, ins Bruitistische spielt. Filideis spätere Kompositionen werden hingegen dominiert von einer sehr konkreten Präsenz des Klanges, breit angelegten Architekturen, präzisen tonalen und modalen Strukturen und einem klar ausgerichteten musikalischen Diskurs.
Dem Trio Corde Vuote (2010) und dem kürzlich entstandenen Notturno sulle corde vuote (2015) für Streichquartett und Elektronik liegt beispielsweise ein definiertes harmonisches Feld zugrunde, das des Quintenzirkels. Die Instrumente werden hier als klingende Objekte behandelt, indem die Saiten nicht nur von den Instrumentalisten in Vibration versetzt werden, sondern auch durch innen eingebaute Aktivatoren, die die vier Streichinstrumente quasi in Lautsprecher transformieren.
Eine enge Beziehung zwischen der physikalischen, objekthaften Struktur des Instruments und der musikalischen Struktur zeigt sich auch in dem kürzlich vollendeten Stück Canzone (2016) für chromatische Mundharmonika und Ensemble. Es basiert auf einem komplizierten Wechselspiel zwischen den Harmonien der Tonika und der Dominante (mithilfe der Register erhält man Cluster), die sich aus dem Mechanismus des Ausatmens und des Einatmens des Instruments ergeben.
Andere, jüngere Partituren sind geprägt von einem quasi romantischen Pathos. So wird in Ogni gesto d‘amore (2009) für Violoncello und Orchester eine langsame, absteigende Linie, die mit einer chromatischen Skala verwoben ist, mit langen Melodiebögen des Solisten verschlungen. Ähnliches findet man in der 2011 begonnenen Werkreihe der Ballate, wo die instrumentalen Linien zu kaleidoskopartigen, wimmelnden, geräuschhaften Geweben gefügt werden, die in manchen Momenten an Liszt und Chopin erinnern (Ballata Nr. 3 für Klavier und Ensemble) oder an Purcell (Ballata Nr. 4 für Viola da gamba und Ensemble). In zwei Orchesterstücken, die zu einem großen Zyklus „in progress“ gehören, der der geliebten Orgelliteratur gewidmet ist, werden Frescobaldi und Bach explizit zitiert: Fiori di fiori (2012) basiert auf Fragmenten der Fiori musicali Frescobaldis, gefiltert durch die Seufzer und typischen Geräusche der Orgelmechanik. Killing Bach (2015) entstand als „blasphemisches“ Vorhaben, einige Werke des Thomaskantors zu “massakrieren”. Dafür verwendet Filidei ein reiches Waffenarsenal an Geräuschen (Vogelpfeifen, Luftballons, Bohrmaschinen, Elektroschocker, Luftrüsseltröten, Trillerpfeifen, Maracas, Hämmer, Pistolen, Spraydosen, Teller, Gläser) und pflanzt dort hinein Tristan-Zitate, plötzliche Explosionen und Pausen sowie Gesten des Protestes. Es entsteht ein gleichzeitig beunruhigendes und sakrales Werk, das Antworten auf Fragen nach dem tieferen Sinn des Tragischen sucht.
Die (vorläufige) Summe der kompositorischen Arbeit von Filidei ist die Oper Giordano Bruno, die 2015 in Porto uraufgeführt wurde. Stets angezogen von Märtyrer-Figuren, wie der des Anarchisten Franco Serantini (dem er 2009 die Oper N. N. widmete), hat der Komponist die Figur eines Häretikers und Verfolgten, eines Märtyrers der Gedankenfreiheit, in ihren Mittelpunkt gestellt. Das Libretto von Stefano Busellato ist in zwölf symmetrische Szenen gegliedert: sechs erzählen die Geschichte des Prozesses, bis zur Verurteilung und zum Scheiterhaufen auf dem Campo de‘ Fiori in Rom; mit diesen Szenen sind weitere sechs Szenen verschränkt, die die pantheistische, kosmologische, moderne Philosophie von Giordano Bruno zusammenfassen, die um die Idee der Unendlichkeit kreist und der wissenschaftlichen Revolution den Weg bereitete. Filidei hat eine Oper von großer dramatischer Kraft geschaffen, in der jede Szene auf einem Ton der chromatischen Skala basiert. So entsteht eine transparente Dramaturgie, die unmittelbar zugänglich ist, wie es in einer Oper sein soll. Der virtuose, in jedem Detail ziselierte, instrumentale Tonsatz lässt ein polyphones, sinnliches Gewebe entstehen, das reich an expliziten Verweisen auf Alte Musik ist (vom Cantus firmus über die Hoquetus-Technik bis hin zu den Messen Palestrinas). Mit dem pulsierenden Schlagen und Läuten von Glocken entsteht an vielen Stellen die Atmosphäre eines Rituals.
Gianluigi Mattietti
(Übersetzung: Christine Anderson)
(aus [t]akte 1/2016)