Am 30. August wird Gerhard Wimberger 90 Jahre alt. Zwei große Uraufführungen in Erl und Salzburg stehen im Sommer an. Eine Würdigung und ein Ausblick auf die neuen Werke.
„Geistige, stilistische und handwerkliche Ehrlichkeit setze ich bei jeder künstlerisch-kreativen Arbeit voraus.“ Dem eigenen Diktum ist Gerhard Wimberger sein ganzes Leben und Schaffen lang konsequent gefolgt. Dabei hat er nie ein Blatt vor den Mund genommen. Produktive Einmischung war – und bleibt es bis heute – ein wichtiges Movens für den Komponisten und Dirigenten, Denker und Initiator, Mitgestalter und Ermöglicher: als langjähriger Leiter einer Kompositions- und der Dirigierklasse am Salzburger Mozarteum, zwanzig Jahre im Direktorium der Salzburger Festspiele, zuletzt noch als Präsident der AKM, der österreichischen Gesellschaft der Autoren, Komponisten, Musikverleger.
Ausgebildet von Cesar Bresgen und Johann Nepomuk David, Clemens Krauss und Bernhard Paumgartner, ist der gebürtige Wiener ein Leben lang mit Salzburg verbunden, in Salzburg verankert. Vom Wohnzimmer seines Hauses im Stadtteil Parsch hat er einen freien Blick auf die Festung Hohensalzburg und darüber hinaus in die salzburgisch-bayerische Naturlandschaft. Scheuklappendenken kann angesichts solcher Umgebung wohl nicht aufkommen. Das Scharfstellen des Denkens aber ist dem Weitblick inhärent. Wenn man Gerhard Wimberger eine Frage stellt, fragt er zunächst einmal gerne zurück: Was ist Form? Was sind formale Kriterien? Was ist Struktur? Wann wird aus einem Material Musik? Bei allen seinen Antworten, die er dann darauf sucht, ist Wimberger oft zurückhaltend, forschend nach dem genauen Ausdruck, kritisch abwägend, oft skeptisch, vor allem aber: bedächtig im Formulieren. Zum Beispiel: Die Frage, welche Musik er denn im Idealfall schaffen möchte. „Musik, die beim kultivierten Hörer das Gefühl hinterlässt, das habe ihm gefallen. Und das möchte er wiederhören. Das Gefühl also, den Hörer habe etwas erreicht. Es hat etwas ausgelöst. Nein, das ist schon zu viel, denn Auslösen würde eine Konsequenz einfordern.“
Oder die Frage nach dem kompositorischen Einfall. Alles beruhe doch auf Einfällen. „Jedes Auto ist eine Fülle von Einfällen, die kulturelle Evolution entsteht aus Milliarden von Einfällen, und eine Sparte davon ist die Kunst.“ Lieber als von einem Einfall spricht Wimberger vom „gewissen Etwas“. „Dieses gewisse Etwas ist nötig für die Qualität in allen Dimensionen und Parametern der Kunst. Je mehr ,gewisse Etwasse‘, desto mehr Qualität hat für mich (und für den Hörer) im Allgemeinen das Kunstwerk.“
In einer Selbstcharakteristik notierte Gerhard Wimberger einmal, höchstes Ziel sei für ihn stets „die Ausgewogenheit zwischen Emotionalität des klingenden Ergebnisses und Rationalität der zugrunde liegenden konstruktiven Ordnung“. Vorurteile und Ideologien bemühe er sich dabei auszuschalten „und mich nur von kreativer Neugier leiten zu lassen“. Seine Arbeit will er „frei von modischen Attitüden“ halten und die „Kräfte von Tradition, Gegenwart und Fortschritt“ ausbalancieren. Das Verstehen seiner musikalischen Sprache ist Wimberger ein besonderer Wert. Überhaupt: Da kann sich Gerhard Wimberger deutlich in Rage reden, wenn es um die Entfremdung der so genannten „Neuen“ Musik vom Hörer geht. Seit rund 100 Jahren sei nämlich der Kontakt mit dem Hörer verlorengegangen. „Intellektuelle Arroganz“ habe das weitgehend, bis auf den heutigen Tag, unterbunden. Und er erinnert in diesem Zusammenhang an einen Satz von Schönberg, den dieser bei einem Vortrag in Chicago so formuliert habe: „If it‘s art, it‘s not for all. If it‘s for all, it‘s not art“. Deswegen heißt es in der zitierten Selbstcharakteristik dezidiert: „Ich komponiere stilistisch unorthodox und versuche … meine musikalischen Gedanken selbst so klar zu denken, dass sie auch von anderen verstanden werden.“ Denn, bei allen punktuellen Erfolgen und wirksamen Fortschritten: In der Mitte des Publikums sei die neue Musik immer noch nicht angekommen, noch weniger in den Herzen. „Die Akzeptanz einer anspruchsvolleren neuen Musik durch größere Teile unserer Gesellschaft ist tief unbefriedigend, die Kluft zum Publikum ist heute nach wie vor nicht geschlossen.“
Wimberger ist es darum zu tun, ein breites Gebiet „zwischen Ernst und Heiterkeit“ abzustecken. Von der frühen, launigen Heiratspostkantate für gemischten Chor, Cembalo und Kontrabass oder komischen Opern wie Dame Kobold bis zu „philosophischen“ Befragungen wie in dem Oratorium Quaestio aeterna – Deus. Fragen nach Gott, Texten und Gesängen aus 2000 Jahren für Bariton, Sprecher, gemischten Chor und Orchester, oder der Passion Giordano Bruno (2007) schuf Wimberger für Bühne und Konzert, Kammermusik und Lied ein Werk, in dem er „die kompositionstechnischen und stilistischen Möglichkeiten unserer Zeit zu einer persönlichen Synthese zu verschmelzen“ trachtet.
Oratorium über einen Unangepassten
Für die Passion Giordano Bruno, die am 31. August 2013 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wird, hat Wimberger die Partitur von 2007 bearbeitet, die Aufführungsdauer um fünf Minuten gekürzt. Denn auch die Länge eines Werks trägt entscheidend dazu bei, Interesse und Aufmerksamkeit der Hörer zu bannen. In diesem „Oratorium“ möchte Wimberger vom Schicksal des italienischen Priesters, Dichters, Philosophen und Astronomen erzählen, der von der Inquisition der Ketzerei und Magie angeklagt wurde und nach vieljähriger Haft einen grausamen Tod sterben musste. Solche „Unangepassten“, die für ihre Überzeugungen bis zur letzten Konsequenz einstehen, haben Wimberger immer wieder interessiert. Mit Vehemenz tritt der Komponist gegen alle „Ideologisierungen“ auf, seien sie politisch oder religiös motiviert. Bei Giordano Bruno habe ihn „dieser Kampf gegen eine ihn quälende und letztlich tötende Ideologie“ beeindruckt, der zugleich freilegt, wie modern der Dominikaner zu seiner Zeit, und seiner Zeit weit voraus, gedacht habe. „Fast alle meiner vertonten textbezogenen Musikstücke, mit Ausnahme der komischen Opern der Anfangsjahre, sind eigentlich gegen ideologische Verkrampfungen geschrieben.“
Was ist Schönheit?
Ein zweites Werk wird im kommenden Sommer bei den Festspielen im Tiroler Erl präsentiert: Klangwege datieren bereits aus dem Jahr 1999 und beschreiben mit orchestralen Mitteln „Wege von Klängen in verschiedenster Form und in allen musikalischen Dimensionen (Klang, Harmonie, Rhythmus, Ausdruck, Atmosphäre)“. Der Titel verweist auf die plurale Dimension des Begriffs und spielt verschiedene Möglichkeiten durch, die ein großes Orchester zur Verfügung hat: von intensiven Ausbrüchen bis zu leisen, innigen Partien, von harmonisch komplizierten Passagen bis zu Jazzanklängen. In solchem Pluralismus manifestiert sich Wimbergers offenes Denken, seine Skepsis gegenüber schnellen Doktrinen. Als Lehrer hat er stets darauf geachtet, nicht doktrinär zu sein, sondern die Freiheit des Einzelnen zu respektieren. Freilich: Wissen, Können und Handwerk sind dafür unerlässliche Voraussetzungen. Darauf pochte Wimberger stets mit Nachdruck. Denn das grundlegende Problem heute sei, dass es kompositionstechnisch keine „Regeln“ gebe, deswegen auch „Kriterien“ schwer festlegbar seien. Vor der „Erfindung“ der Zwölftontechnik beruhten die kompositionstechnischen Regeln auf klanglichen Parametern. Die Dodekaphonie selbst sei zwar auch eine „Regel“, gehe aber von rein mathematisch-konstruktiven Modellen aus. Deswegen wurde einer „gewissen klanglichen Willkür“ Raum gegeben, mit der Wimberger wenig anzufangen weiß. Für ihn ist ein gerüttelt Maß an „Schönheit“ in der Musik unerlässlich. Obwohl: Sofort befragt er wieder den Begriff. Was ist Schönheit? Sie ist undefinierbar. Und auf der Suche nach einer geeigneten Definition fällt ihm schließlich ein Satz von Ludwig Feuerbach ein: „Musik ist ein Monolog des Gefühls.“ Ja – lange Pause des Nachdenkens – „das trifft´s“ – und wiederum: langes Nachdenken, und der Zusatz: „in aller unbestimmbaren Fülle“.
Karl Harb
(aus [t]akte 1/2013)