Zwei Jubiläen bilden den Rahmen für das internationale Projekt „Martinů revisited“. Zu Beginn wird des fünfzigsten Todestages des Komponisten gedacht († 28.8.1959), den Schlusspunkt zwei Jahre später markiert sein 120. Geburtstag (* 8.12.1890).
Die tschechische Regierung versteht „Martinů revisited“ als das wichtigste Kulturprojekt ihrer EU-Präsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2009, was seine Berechtigung auch daraus erhält, dass Martinů einen großen Teil seines Lebens in mehreren europäischen Ländern (Frankreich, Schweiz, Italien) sowie in den USA verbrachte.
Im Eröffnungskonzert am 11. Dezember 2008 trifft die renommierte Mezzosopranistin Magdalena Kožená mit dem australischen Tenor Steve Davislim und der Tschechischen Philharmonie unter der Leitung von Sir Charles Mackerras zusammen. Dabei werden die bislang unbekannten drei Fragmente aus der Oper „Julietta oder Das Traumbuch” uraufgeführt. Zu den wichtigsten Veranstaltungen gehören auch die beiden Jahrgänge des Festivals „Prager Frühling”, das insbesondere 2009 Martinů zum Hauptthema erheben wird. Darüber hinaus sind Neuinszenierungen seiner Opern und Ballette in Prag, Brünn, Bratislava, Nizza, Aix-en-Provence, Zürich, Luzern, München, Rostock, London, Oxford, Garsington, Pittsburgh, Boston u. a. geplant. Wichtige Festivals insbesondere in der Schweiz (Basel), in Frankreich (Aix-en-Provence), Ungarn (Budapest), England und den USA wollen sich dem Schaffen Martinůs besonders zuwenden.
Bühnenwerke und Kantaten
Im Rahmen von „Martinů revisited“ werden zahlreiche Werke Martinůs aus dem Katalog des Bärenreiter-Verlags aufgeführt, darunter die Opern „Alexandre bis” (1937), „Mirandolina” (1953/4) und „Ariane” (1958). Durch die Originalsprachen der Libretti (Französisch bzw. Italienisch) sowie durch ihren Witz („Alexandre bis” und „Mirandolina”) oder die seltene neomadrigalistische Schönheit (Ariane) eignen sich diese Werke hervorragend für internationale Opernbühnen.
Die herbe, stark rhythmische Volkskantate „Ein Blumenstrauß” (1937) ist in der Heimat des Komponisten wegen der verwendeten tschechischen und mährischen Volkstexte überaus beliebt. Ihre Themen sind von universaler Geltung, so z. B. der Schlussteil „Der Mensch und der Tod”, der eine tschechische Variante des Jedermann-Themas darstellt. Ganz anders ist der Zyklus von vier kleinen Volkskantaten angelegt, unter denen sich vor allem Das Maifest der Brünnlein (1955) in Tschechien einer enormen Popularität erfreut. Auch die übrigen drei Teile dieses in seiner Schlichtheit ergreifenden Spätwerkes („Legende aus dem Rauch des Kartoffelkrautes”, „Löwenzahn-Romanze” und „Mikesch vom Berge”) sind äußerst publikumswirksam.
Werke für Orchester
Unter den Orchesterwerken gehören vor allem die Parabeln (1957/58) zu den bislang wenig bekannten Hauptwerken Martinůs. Sie bilden zusammen mit den Estampes und den Les Fresques de Piero della Francesca eine Trilogie der orchestralen Spätwerke des Komponisten, in welcher er einen sehr persönlichen neoimpressionistischen Stil entwickelt. Die Rhapsodie (Allegro symphonique) (1928) sowie der Saltarello aus der Oper Mirandolina sind hingegen robuste, lebensfrohe Werke, die sich zum Beispiel als Konzerteröffnung anbieten.
Sicherlich wird das Rhapsody-Concerto für Viola und Orchester (1952) noch häufiger erklingen als sonst. Dieses Werk soll auch im zweiten Band der Martinů-Gesamtausgabe erscheinen, deren Herausgabe der Bärenreiter-Verlag zusammen mit der Martinů-Stiftung und dem Martinů-Institut ab 2009 planen. Zwei kleine Meisterwerke der 1930er-Jahre bilden das Concertino für Klaviertrio und Streichorchester (1933) und das Duo concertante für zwei Violinen und Orchester (1937), das soeben beim englischen Label Hyperion mit Bohuslav Matoušek, Regis Paquier und der Tschechischen Philharmonie unter Christopher Hogwood erschienen ist. Die Incantations (1955/6) sind unter seinen Klavierkonzerten mit Abstand die eigenwilligste Schöpfung Martinůs.
Kammermusik
Die Kammermusik bereicherte Martinů mit nicht weniger als 90 Werken, unter denen im Bärenreiter-Katalog vor allem die Reihe der drei Streichquartette Nr. 4–6 hervortritt. Sie liegen in neuen Urtext-Ausgaben vor. Nur ein einziges weiteres Werk soll hervorgehoben werden: „Les Rondes” für Oboe, Klarinette, Fagott, Trompete, zwei Violinen und Klavier (1930). Dieses Septett besteht aus sechs kurzen Stücken, deren volkstümliche Inspiration mit der Linearität der Stimmenführung sie in eine Reihe mit den besten Werken von Leoš Janáček oder Béla Bartók stellt.
Das Bild der Werke Martinůs im Bärenreiter-Verlag wird noch durch zahlreiche Klavierwerke („Marionetten” I–III) und Vokalwerke („Liedchen auf einer Seite", „Liedchen auf zwei Seiten”, „Der neue Špalíček”) ergänzt.
Aleš Brezina
(aus: takte 1/2008)