Die tschechische Komponistin Vítězslava Kaprálová, die nur 25 Jahre lebte, hinterließ eine Reihe von sinfonischen Stücken, die nun bei Bärenreiter Praha veröffentlicht werden. Sie zeichnet ein großer Erfindungsreichtum aus.
Es gibt unter den tschechischen Komponisten des 20. Jahrhunderts noch viele kaum bekannte oder unentdeckte Persönlichkeiten, und das, obwohl es sich um bemerkenswerte kompositorische Erscheinungen handelt. Eine von ihnen ist die früh verstorbene Komponistin und Dirigentin Vítězslava Kaprálová (1915–1940), deren Leben von vielen romantisierten Ereignissen umwittert ist. Leben und Werk Kaprálovás sind bisher nicht vollständig erforscht, und ihr originelles Werk findet nur sehr allmählich in das Repertoire einiger Klangkörper Eingang.
Vítězslava Kaprálová, in Brünn geboren, war die Tochter des Pianisten und Komponisten Václav Kaprál (1889–1947), eines Schülers von Leoš Janáček an der Brünner Orgelschule. Die begabte Tochter begann bereits im Alter von neun Jahren unter Anleitung ihres Vaters zu komponieren und trat bald darauf in das Brünner Konservatorium ein, wo sie Komposition und Dirigieren studierte. 1935 wechselte sie in die Meisterschule des Konservatoriums in Prag. Ihr Studium der Komposition vollendete sie bei Vítězslav Novák, das Dirigieren setzte sie bei dem berühmten Václav Talich fort. Meist wird die Beziehung Kaprálovás zu Bohuslav Martinů hervorgehoben, den sie künstlerisch und auch privat während ihres Studiums in Paris näher kennenlernte. Martinů überließ Kaprálová seine neuen Werke zwecks Studium und Bearbeitung und korrigierte selbst ihre neuen Stücke. Kaprálovás Leben endete vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, die sie in Frankreich durchlebte. Sie starb am 16. Juni 1940 in Montpellier an Tuberkulose.
Obwohl die Komponistin nur 25 Jahre alt wurde, schaffte sie es, während ihres kurzen Lebens etwa 58 Stücke zu komponieren, unter denen sich Liederzyklen, Stücke für Soloinstrumente, Melodramen, kammermusikalische Werke und einige Stücke für Orchester befinden, wie z. B. die Vojenská symfonieta (Militär-Sinfonietta) op. 11 (1937) oder das unvollendete Concertino für Violine, Klarinette und Orchester op. 21 (1939).
Die Militär-Sinfonietta op. 11 war das erste größere Orchesterstück der Komponistin, auch wenn sie 1935 bei der Komposition eines Klavierkonzerts schon Erfahrungen mit dem Orchester sammelte. Das Orchesterstück begann Kaprálová auf Veranlassung von Vítězslav Novák, den Beinamen „militärisch“ ergänzte sie erst später, als sie sich selbst der Forschheit ihres Stils und eines gewissen Marschcharakters des Stückes bewusst wurde. In diese Richtung weist auch seine an Quart- und Quintintervallen reiche Melodik. Die Sinfonietta bringt den unruhigen Charakter der Zeit und der Welt zum Ausdruck, in der man die Bedrohung der Macht Hitlers zu spüren begann. Kaprálová widmete das Stück dem damaligen Präsidenten der Republik, Edvard Beneš, der zugleich Befehlshaber der tschechoslowakischen Streitkräfte war. Die erfolgreiche Uraufführung des Stücks fand im November 1937 statt, die Tschechische Philharmonie spielte unter der Leitung der Komponistin. Wenig später erschien die Partitur beim Melantrich Verlag (1938).
Die Komposition des Concertino für Violine, Klarinette und Orchester op. 21 (1939) war bereits von finanziellen Schwierigkeiten begleitet, die mit der sich nähern- den Bedrohung der Nazi-Invasion in Frankreich verbunden waren. Es ist eines der letzten Stücke von Vítězslava Kaprálová. Die Komponistin arbeitete daran zu der Zeit, als sie die Partita für Klavier und Streichorchester op. 20 beendete, und man kann sagen, dass beide Werke organisch miteinander verbunden sind. Davon zeugen insbesondere eine ausgeprägte Polyphonie sowie eine originelle Auffassung der Form, beeinflusst von den Komponisten der Pariser „Groupe des Six“ und Bohuslav Martinů. Bewunderungswürdig ist der thematische Erfindungsreichtum in diesem Werk, in dem sich verschiedene Themen zu neuen und unerwarteten Kombinationen verbinden. Kaprálová vollendete diese Komposition nicht und hinterließ sie nur als Skizze. Für die glaubwürdige Rekonstruktion der vollständigen Orchesterpartitur sorgten zwei bekannte Herausgeber des Werks von Leoš Janáček – Miloš Štědroň und Leoš Faltus. Die Partitur erschien 2003, die Orchesterstimmen entstehen gerade erst und werden erstmals bei der geplanten Aufführung des Stücks durch die Tschechische Philharmonie unter der Leitung von Jakub Hrůša im November 2014 verwendet.
Veronika Vejvodová
(Übersetzung: Kerstin Lücker)
(aus [t]akte 1/2014)