Ohne Ironie ist Manfred Trojahns Werk nicht vorstellbar. Der Komponist feiert am 22. Oktober seinen 65. Geburtstag – und macht weiter wie bisher, als ein gefragter Künstler, der sich immer wieder neue(n) Aufgaben stellt. Gerhard Rohde benennt Linie und rote Fäden in Trojahns Œuvre.
Mit fünfundsechzig Lebensjahren werden Staatsdiener und Lohnabhängige in den Ruhestand versetzt. Das gilt nicht für Komponisten, schon gar nicht, wenn einer Manfred Trojahn heißt. Er setzt einfach seinen vierzig Jahre und länger währenden Unruhestand fort. Allein in seinem jetzt sich rundenden Geburtsjahr 2014 (geboren am 22. Oktober 1949 in Cremlingen bei Braunschweig) häuften sich die Trojahn-Premieren: im Juni „Ungewisses Licht“. 4 Fragmente für achtstimmigen Chor in Stuttgart, beim Richard-Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen Terzinen über Vergänglichkeit nach Hugo von Hofmannsthal, im Juli beim Festival in Aix-en-Provence Trois morceaux de ,Quitter‘ – nach René Char für Sopran und Ensemble sowie Contrevenir commentaire für Ensemble als französische Erstaufführung. Die vielgerühmte Uraufführung seines Musiktheaters Orest im Dezember 2011 in Amsterdam liegt nicht allzu weit zurück, Ende Oktober 2014, sechs Tage nach seinem Geburtstag, wird es in Wien die österreichische Erstaufführung des Orest geben.
Wer Manfred Trojahn, der nicht nur Komponist, sondern auch ein wortgewandter, um nicht zu sagen „wortgewaltiger“ Beschreiber von Zuständen sein kann, wer ihn also kennt oder zumindest richtig zu lesen vermag, der muss selbst eine ironische Distanz zu den alltäglichen Erscheinungen besitzen: Ironie versteht nur, wer die Welt ebenfalls ironisch sieht. Manfred Trojahn hat in seinem Huldigungsartikel zum hundertfünfzigsten Geburtstag von Richard Strauss in der ZEIT dazu eine passende Textstelle aus dessen letzter Oper Capriccio zitiert: Als nach allen Turbulenzen um Wort und Ton die Gräfin leicht verzweifelt-resignativ sich die Frage stellt, ob es denn einen „Schluss gäbe, der nicht trivial“ sei, antwortet der eintretende Haushofmeister lakonisch: „Frau Gräfin, das Souper ist serviert!“
Diese Spielart des Ironischen im geschriebenen Wort-Text, in der Beschreibung von Zuständen, Haltungen, Gefühls- und anderen Katastrophen, versteht der Komponist Trojahn kongenial in seine Musiksprache zu überführen. Trojahn entfernt sich dabei nicht vom Text, zerlegt ihn nicht in atomisierte Partikel, um daraus ein eher abstraktes Klang-Wort-Theater zu formen, wie es eine zeitlang geradezu Mode wurde. Gleichwohl wäre es falsch, aus Trojahns Nähe zum literarischen Text, zum vorliegenden Drama, zur Komödie oder zur Farce auf eine Spielart von „Literaturoper“ zu schließen. Den Komponisten Trojahn interessieren vor allem die menschlichen Grundsituationen in den alten Stücken, die in verwandelter Gestalt letztlich immer wiederkehren, wie in Trojahns erster Oper Enrico (1991) auf Pirandellos gleichnamiges Theaterstück: Auf sublim ironische Weise wird aus einer kostümierten Wahnsituation plötzlich eine Realität mit tödlichem Ausgang, weshalb der „Mörder“ gezwungen ist, fortan in seiner Wahnsituation zu verharren. Trojahns Musik bohrt sich nicht existenziell-expressionistisch durch die Konflikte, sondern entdeckt in diesen das Absurde, das auch in unserem alltäglichen Leben zunehmend an Gewicht gewinnt. Wirklichkeit überführt in ironische Brechungen.
Manfred Trojahn kann aber nicht nur ironisch sein. „Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter“ – so sinniert der verliebte Herzog zu zarten Lautenklängen in Shakespeares schwermutsgetönter Komödie Was ihr wollt (1998), aus der das Libretto für Trojahns zweite Oper entstand. Aus Ironie wächst hier ein musikalisches Welttheater: der Mensch, ausgespannt zwischen Hochgefühl und derben Lustvergnügen in den nächtlichen Saufszenen um den Narren herum. Trojahns Musik zu dieser Komödie mit tieferer Bedeutung changiert raffiniert zwischen den Szenen, ist vor allem aber eines: eine Huldigung an die Macht der Musik und an die Oper – das „Kraftwerk der Gefühle“, wie es Alexander Kluge einmal formulierte.
In Trojahns dritter Oper, den Limonen aus Sizilien (2003) auf Einakter von Pirandello beziehungsweise Eduardo De Filippo fließt alles zusammen: sinnliche Lustbetontheit des Südens, Ironie und Bitterkeit. Und Trojahns Musik akkompagniert hellwach und klangsensibel die szenischen Vorgänge und die Personen. Spätestens von den Limonen an ist der Opernkomponist Trojahn an die erste Stelle seines Schaffens getreten, das mit seiner bisher letzten Oper, dem Musiktheater Orest, zugleich eine neue existenzielle Bedeutung gewonnen hat, und sich zugleich als eine Antwort auf die zunehmende Tendenz in der Gesellschaft gibt, mit der „besonderen Kunstform Oper zynisch und nachlässig umzugehen“. Vielleicht ist dieser Pessimismus leicht übersteigert, stützt sich auf negative Erfahrungen. Insgesamt aber kann sich die Oper mit ihren Spielstätten speziell in Deutschland nicht über mangelnde Resonanz beklagen. Manfred Trojahn denkt dabei sicher vor allem an die wirklich desolate Situation im Ursprungsland der Oper, Italien, das er so sehr liebt.
Der Pensionistengeburtstag eines schöpferischen Künstlers ist vielleicht nicht der Anlass, um sein gesamtes Schaffen zu würdigen. Trojahns Individualität und Bedeutung liegt vor allem darin, dass er, auch und gerade in der Adaption alter Formen, in Sinfonie, Kammermusik, Chorwerken, zu einer eigenen, lebendigen, ja auch modernen Musiksprache findet, um nicht das leicht abgegriffene Wort „Klangrede“ zu benutzen. Für Manfred Trojahn ist, Ironie hin und Kommunikation her, die Musik eine „heilige Kunst“, wie es der Komponist in Straussens Ariadne auf Naxos einmal emphatisch sagt. Trojahn, der in seinen Schriften zur Musik auch ein persönliches Maskenspiel der Verstellungen und Überpointierungen treibt, weiß letztlich sehr genau, was die Musik für die Menschen und die Gesellschaft bedeutet: Sie ist ein unverzichtbarer Teil unseres abendländischen Geisteslebens, gleichbedeutend der Literatur, der Philosophie und der Theologie, denen sie kraft ihrer Eigenart jene Emotionalität zuspielt, die leider immer mehr zum Nachteil unserer Gesellschaft verkannt wird. Manfred Trojahn hat mit seinem Komponieren stets gegen diese Tendenzen angearbeitet. Das ist das Allerwichtigste.
Gerhard Rohde
(aus [t]akte 2/2014)