Der italienische Komponist Mauro Montalbetti wurde 1969 in Brescia geboren. Er war zunächst Schüler von Antonio Giacometti, studierte dann bei Paolo Rimoldi am Konservatorium „Giuseppe Verdi” in Mailand und schloss seine dortige Ausbildung mit Auszeichnung ab.
Mit der Oper Lies and sorrow gewann er 2006 den Johann-Joseph-Fux-Opernkompositionswettbewerb in Graz. In der Folge wurden seine Werke bei der Gaudeamus Music Week, der Biennale Venedig, dem Festival MiTo und dem Cantiere Internazionale d’Arte di Montepulciano aufgeführt. Zu den Interpreten, die ihm Aufträge erteilten und seine Kompositionen aufführten, gehören Sentieri Selvaggi, Nieuw Ensemble, Ictus Ensemble, Ex novo Ensemble, MW2, KlangImpulse, OSN RAI, Roland Böer, Daniel Kawka, Jonathan Webb, Carlo Boccadoro und Micha Hamel. Sein Präludium für Orchester Blumenlicht wurde beim International Rostrum of Composers 2013 präsentiert.
Als vielseitig begabter Komponist hat er immer wieder auch Ballettmusik geschaffen und dabei u. a. mit den Compagnien Sasha Waltz & Guests, Michela Lucenti/Balletto civile und Compagnia Lyria zusammengearbeitet.
„Brimborium!”
Im Jahr 2012 vergab Detlev Glanert an Montalbetti einen Auftrag für den Cantiere Internazionale d’Arte di Montepulciano. Es sollte eine Oper im Geiste des Pollicino („Der kleine Däumling”) von Hans Werner Henze werden. Brimborium! wurde unter der Regie von Domenico Franchi und der musikalischen Leitung von Roland Böer uraufgeführt.
„In einem alten verschlossenen Schrank lebt eine Gruppe von aussortierten Gegenständen, jeder hütet einen Traum und eine erzählenswerte Geschichte. Gefangen in immer gleichen Zeitabläufen, in Langeweile dahindämmernd, überlassen sie sich ihren Obsessionen und ihrer Trauer und werden gequält von Erinnerungen an eine äußere Welt, deren Existenz ihnen immer zweifelhafter erscheint. Aber der plötzliche Gesang einer Geige, die von einem jungen Musiker gespielt wird, erweckt die scheinbar schlummernde kleine Welt wieder zum Leben. Allmählich werden die Gegenstände, mal trotzig, mal widerstrebend, von Hoffnung angesteckt. Vielleicht ist es nicht zu spät, ein neues Leben zu beginnen. Aber wie sollen sie es anstellen, aus dem Schrank herauszukommen?”
Eine neue Fassung der Oper wurde im April 2013 am Teatro Grande in Brescia präsentiert. Mehr als 150 Kinder aus Schulen der Stadt Brescia waren an der Erarbeitung der Aufführung und am künstlerischen Ensemble beteiligt. Sie waren Teilnehmer eines Education-Projektes, das den Premio Abbiati für Schulen 2013 gewonnen hat.
„Another’s Hell“
Mauro Montalbetti wird sich in der nächsten Zeit mit zwei wichtigen Aufträgen beschäftigen. Another’s Hell, ein Auftrag des Orchestra Filarmonica della Scala, wird am 13. Januar 2014 unter der Leitung von Daniel Harding uraufgeführt werden. Das Stück besteht aus fünf Sätzen, die von Sonetten Shakespeares inspiriert wurden. Montalbettis Klangwelt basiert häufig auf Gesten der Klangfarbe und Harmonik. Die künstlerische Leitung des Orchesters hatte darum gebeten, Shakespeare zu feiern und diesem Wunsch kam der Komponist nach, indem er fünf Zeilen des Dichters auswählte und sie als Ausgangspunkt einer kompositorischen Reflexion über die heutige Gesellschaft verwendete.
Nach Brimborium! wird Montalbetti mit einer sehr engagierten Oper zum Musiktheater zurückkehren, die in der italienischen Öffentlichkeit sicherlich heftig diskutiert werden wird. Die Uraufführung am Teatro Grande in Brescia wird am 9. Mai 2014 stattfinden, dem „Tag des Gedenkens an die Opfer terroristischer Anschläge”. Diese neue Arbeit setzt sich mit dem Anschlag vom 28. Mai 1974 in Brescia auseinander, einem der blutigsten neofaschistischen Anschläge in den 1970er Jahren. Die Oper versteht sich jedoch nicht nur als Akt der Anklage gegenüber der Politik und den gesellschaftlichen Kräften, die Terrorismus organisiert und unterstützt haben, sondern auch als eine klare Reflexion über das Unvermögen der italienischen Gesellschaft, politische Verbrechen aufzuklären.
„Wir dürfen die Schrecken jenes Tages in Brescia niemals vergessen. Die damaligen Ereignisse sind zu Erzählungen der abtretenden Generation geworden, zum Mahn- und Gedenktag der Bürger. Aber wenn wir unsere Oper auf diese Geste der pflichtschuldigen Verbeugung vor den Opfern beschränken würden, so handelten auch wir wieder wie Opfer, die die Tragik jenes Tages als Totenklage wiederholen und damit den Akt des Nichtvergessens in eine rhetorische Übung transformieren.
Wir wollen einen anderen Weg einschlagen: Von jenem Tag hat sich eine Aufnahme der Kundgebung auf dem Platz erhalten, die unterbrochen wird von der Explosion der Bombe, mit all dem Chaos und der Verzweiflung, die darauf folgten: ein einzigartiges Dokument, das den Moment des Anschlags in einer klanglichen Dimension festhält.
Wir wollen, dass dieser bewusste Bruch nicht zu einem starren Abbild der Vergangenheit wird, sondern sich in einen Akt der Auferstehung verwandelt. Die Musik wird diese ‚Rekomposition des Zerbrochenen‘ durch plötzlich auftretende ,Klangabfälle‘ anführen: mit Progressive Rock, Musik der Avantgarde, Free Jazz. Damit wird die Dramaturgie erweitert bis zu einer Spannung, die stets auf die gegenwärtige Situation ausstrahlt, auf die Notwendigkeit, jetzt und hier zu sein, um auszusagen.“
Andrea Fontemaggi
(Übersetzung: Christine Anderson)
(aus [t]akte 2/2013)