Drei Fragen an Miroslav Srnka
1. „move 03“ ist der Titel deines neuen Stücks, das in Monte-
Carlo uraufgeführt wird. In welcher Form spielt die Bewegung eine Rolle. Wie korrespondiert sie mit dem Klang?
Das englische Wort „move“ steht für unterschiedliche Bedeutungen: Es bezeichnet eine Bewegung zum Erreichen eines anderen Ortes oder eines Ziels, eine spezifische Tanzbewegung oder die Aktion einer Figur in einem Spiel. Bei mir enthält „move“ zunehmend zwei Deutungen: Die erste Deutung liegt in der Bewegung als Struktur: Mit musikalischen Mitteln, beispielsweise mit der Gestalt eines polyphonen Schwarms, wird eine bewegte, changierende dreidimensionale Struktur suggeriert, die etwa an Vogelschwärme erinnert. Die zweite Deutung bezieht sich auf die Bewegungen der Musiker, mit denen sie physisch den Klang erzeugen.
2. Schon bei den „moves 01 and 02“ hast du von dieser sehr physischen Auffassung gesprochen, dass auch die Spielbewegung des Musikers eine Rolle spielt. Wie hast du das hier aufgegriffen?
Ich glaube immer mehr, dass der Ausdruck einer Interpretation von einem physischen Gefühl und einer physischen Freiheit der Orchestermusiker – sowohl individuell als auch gemeinsam – abhängt. Ich möchte, dass Musik fliegt. Um zu fliegen, brauchen die Musiker Freiheit. Ihr Freiheitsgefühl kommt von einer freien Bewegung. Und die freie Bewegung ist bedingt durch das, was man im Englischen „state of mind“ nennt, ihre „Haltung“, einen „Flow“. Dieser ist in der Musik am einfachsten durch ein Legato ausgedrückt. Ein Legato ist die einzige wirklich für alle Instrumente gemeinsame phrasierende Denkweise. Sogar Schlagzeuger denken im Legato. Deswegen wird dieses in meinen Partituren zum Grundstatus einer Artikulationsweise. Aber es ist nicht nur ein gängiges Legato. Es wird zum Beispiel bei den Streichern durch ein „molto arco“ erzeugt, durch möglichst viel Bogen, sogar im Pianissimo. Weniger Bogen würde weniger fliegende Energie erzeugen. Ich möchte jedoch nicht, dass die Musik landet, sondern dass sie in die stille Ferne wegfliegt. Deswegen wird bei einem Decrescendo nicht die Bogenbewegung reduziert, sondern die schnelle bleibende Bogenbewegung mit abnehmendem Druck eingesetzt, bis der Klang durch verschiedene flautandoartige und weniger satte Klangfarben innerhalb der Bewegungsenergie verschwindet.
3. Das Werk ist Teil einer Serie von Kompositionen – „moves 01 and 02“ wurden zusammen aufgeführt. Bilden die „moves“ einen Zyklus, wie autark sind sie?
Die Reihe von moves – für Orchester – sowie die Reihe von tracks – für kleine Kammerbesetzungen – sind derzeit meine internen Nischen, um Zusammenhänge zwischen meinen eigenen Stücken zu suchen und um Konsequenzen weiterzuführen. Daraus entstehen Reihen, die sowohl separat als auch in Folge oder sogar in integralen Aufführungen in verschiedenen Abfolgen gespielt werden können. moves 01 und 02 etwa sind in der umgekehrten Reihenfolge uraufgeführt worden.
Zunächst bin ich von einem lockeren Zusammenhang der Stücke in der Tradition der symphonischen Tänze ausgegangen. „move“ erinnert auch an „movement“ – die englische Bezeichnung für einen symphonischen Satz. move 03 ist von den drei existierenden moves einem solchen „movement“ am nächsten. Es ist das autarkste von den drei Stücken, weil es auch das heterogenste ist … Es ist auch das erste Werk, das ich nach der Oper South Pole geschrieben habe. Die Musik danach musste danach werden. In die Bewegung sind klare, „weiße“ Objekte eingeflossen. Sie lassen die Bewegung in Klang-Stasen anhalten. Als ob man die Musik mit einer Stopptaste anhalten lassen könnte und dann den Moment eines Klangs von mehreren Seiten beobachten, bis man bereit ist, dem Strom weiter zu folgen.
Die Fragen stellte Marie Luise Maintz
(aus [t]akte 1/2017)