Das Werk vereint drei Figuren aus Francesco Cavallis Oper Giasone: Isifile, die verzweifelt Jason sucht, der sie verlassen hat, und Orest, der nach Informationen über Jason forscht, um Isifile zu helfen, in die er verliebt ist. Die drei sind in ein Spiel aus Missverständnissen, Nachforschungen und zweifelhaften Erwartungen verstrickt, während sie versuchen, sich aus ihren erdrückenden Bindungen zu befreien. Die drei Figuren werden durch den Solisten Valer Sabadus verkörpert, der mit seiner Stimme die drei unterschiedlichen Register und die mit ihnen korrespondierenden dramatischen Verhaltensweisen der Personen erkundet. Die Stimme des Sängers fungiert dabei als innere Bühne, auf der die Ängste der Figuren immer konkreter und unauflöslicher zutage treten. Isifile, die verlassene Ehefrau Jasons, drückt ihr Schwanken zwischen Hoffnung und Verzicht aus, und drängt Jason mit immer zusammenhangloseren Gesten bis zum tragischen Ende. Im Traum spricht sie mit Orest und evoziert dabei den sanften Charakter der einzigen gemäßigten und reflektierten Figur des Dramas. (Lucia Ronchetti)
Wie wäre eine unendliche Melodie zu konstruieren, wenn nicht durch die zeitliche Erfahrung der zyklischen Wiederkehr? Eine rotierende Melodie. Nicht einfache Wiederholungen oder Ritornelle: Während wir im musikalischen Verlauf voranschreiten, kehren wir mit unserer Erinnerung an das zurück, was diese wiedererkennt. Eine gut gebaute Kreisform aus Klängen, aus Wellen, verführt uns mit momentanen euphorischen Eindrücken, die auf dem Grat zwischen dem Limbus und dem Paradies auf Erden wandeln; und dennoch streifen wir genau jenen geheimnisvollen Augenblick zwischen Kennenlernen und Wiedererkennen, in dem unser Geist sich dem Verstehen öffnet und das Fremde einlässt, dasjenige, was für uns vorher nicht existiert hat.
In Tempo di Porazzi für Klavier wurde von Richard Wagner 1882 in Palermo komponiert, eine absolute Monodie außerhalb jeder Harmonik. Ihre Ausdehnung lädt dazu ein, sich eine Oboe als ihr ideales Medium vorzustellen. In 22 Takten entfalten sich kleine Symmetrien, die in den weiträumigen Proportionen Wagners normalerweise nicht zu finden sind. Die Faszination einer fernen Melodie, ohne Begleitung, die jemand ganz für sich spielt, sich dem Wind anvertrauend.
Eine perfekte Ornamentierung verleiht dem Stück Einheitlichkeit, es antwortet auf die klanglichen Spannungen, die in Sizilien das Ohr überraschen. Aus der Kehle jedes fliegenden Händlers strömt der Zauber des Mittelmeerraumes, noch heute. Ich habe die Melodie den changierenden Farben des Orchesters anvertraut, um die Phrasen zu ordnen, zu unterscheiden und dabei die unregelmäßigen Kurven ihrer Flugbahnen zu verdeutlichen.
Der erste Einfall, sechs Takte, auf eine Visitenkarte gekritzelt und mit dem Untertitel „Melodia del Porazzi” versehen, ist hier ein gezügelter sinfonischer Krampf geworden. Er berührt sich mit einem Albumblatt für Klavier, einem „Languendo”. Einige Klänge des Anfangs haben eine Spur hinterlassen; sie verschwindet so unbemerkt wie das Licht des Abends. (Salvatore Sciarrino)
Die Bibel ist reich an Geschichten, die uns beeinflusst haben und noch immer beeinflussen. Zum Beispiel die Geschichte von Sarah und Hagar. Isaac, der späte, unerwartete Sohn von Abraham und Sarah, ist der Ursprung der Geschichte des jüdischen Volkes. Ismail, der Sohn, den die Magd Hagar auf Wunsch von Sarah von Abraham empfing, ist der Ursprung der Geschichte der islamischen Völker. Die Nachfahren dieser beiden Halbbrüder, Juden und Moslems, liegen noch immer im Streit. Mit den Christen, den Anhängern des Juden Jesu, die seit 2000 Jahren die Glaubensgenossen ihres Messias beschuldigen, ihn verfolgt und ermordet zu haben, gibt es seit wenigen Jahrzehnten einen noch zerbrechlichen Frieden. In dem schönen Text, den mir Michael Krüger vorbereitet hat, fragen sich die beiden Frauen am Schluss: „Beide haben wir Söhne von Abraham geboren – Isaac und Ismail – ist es nicht Zeit, die Konflikte für immer beizulegen?“ Dies ist, wenn man so will, die Botschaft des Stückes. Alles andere versucht die Musik zu erzählen. (Luca Lombardi)
- RAI Com
- (aus „[t]akte“ 1/2019)