Konzerte mit den Symphonien Bohuslav Martinůs sind derzeit häufig zu hören. Seine frühesten Orchesterwerke jedoch bleiben im Verborgenen. Bärenreiter Praha wirft nun ein neues Licht auf diese Werke und hat drei Orchesterstücke in sein Programm aufgenommen.
Das früheste dieser Werke ist Posvícení (Fasching – ein Dorfbild) für Flöte und ein Streichorchester aus sieben Stimmen (3,1,2,1). Martinů schrieb es 1907 als 16-Jähriger. Es handelt sich um eine kleine durchkomponierte Suite mit tanzähnlichen Episoden, worin ein Volkslied zitiert wird, das fast allen Tschechen bekannt ist. Eigentlich ist es kein Solokonzertstück, denn die anspruchslose Flötenstimme fügt lediglich Farbe und Klarheit hinzu. Die Grundstimmung ist heiter, und der lebhafte Schluss lässt die Zuhörer lächeln.
Das zweite der Frühwerke aus den Jahren 1913/1914 ist das rätselhafteste. Die Handschrift trägt keine Titelseite, so dass man es lediglich unter der Nummer H 90 aus Harry Halbreichs Werkvereichnis kennt. Früher hielt man es für unvollständig, aber tatsächlich stellt es sich als ein kompletter Satz von zehn Minuten Dauer dar. Debussy und Ravel haben H 90 beeinflusst, doch ist der Ton dank der funkelnden Beiträge von Harfe, Celesta und Klavier durchaus eigenständig. Eine zentrale Aussage der Streicher voller Leidenschaft wird von meditativerer Musik umrahmt. Das Werk endet im Flüsterton, das Tamtam am Schluss drückte der obskursten der Martinů-Entdeckungen den Stempel auf.
Die gehaltvollste unter diesen Partituren ist die Kleine Tanzsuite aus dem Jahr 1919, die 1920 von der Tschechischen Philharmonie aus der Taufe gehoben werden sollte, aber während der Proben von Václav Talich zurückgezogen wurde. Der Grund dafür ist nicht bekannt; die Qualität der Musik kann es nicht gewesen sein, denn die „kleine“ Suite von vierzig Minuten Dauer ist eine Freude vom Anfang bis zum Ende. Alle Anklänge an den Impressionismus sind getilgt, Martinů lässt sich stattdessen vom tschechischen Musikerbe anregen. Der Walzer am Beginn ist eine Folge von funkelnden, schön orchestrierten Orchesterpassagen. Jede von ihnen verarbeitet eine anspruchslose Idee der Solovioline. Das Trio in der Mitte ist eine herzerwärmende Melodie, die Cello, Viola und Violine im Wechsel vortragen.
Der zweite Satz, „Píseň“ (Lied), ist eine reizvolle lyrische Äußerung. Ein bukolischer Austausch zwischen Oboe und Horn ergibt einen Abschnitt voll dvořákschen Geistes. Die Melodien kommen frisch und natürlich daher, die Stimmung bis zum zarten Violinsolo am Schluss zeigt sich sonnig und optimistisch.
Holzbläser und Schlagzeug formen die äußeren Passagen des Scherzos, die sich teilweise bösartig und kriegerisch geben. Das Trio der großzügig geteilten Streicher ist lyrisch. Das Gewebe verschleiert die Wiederkehr eines Themas aus dem Scherzo.
Das „Allegro à la polka“ am Schluss setzt mit einer verwirrenden Folge von Ideen ein, die sich nur teilweise dem Polkarhythmus unterwerfen. Hier wird Martinůs Bewunderung für Smetana am deutlichsten. In der Mitte des Satzes dominiert ein großartiges Thema in B-Dur, das sich mit der Polka zu einem mitreißenden Finale verbindet.
Die Kleine Tanzsuite ist eine bedeutende Wiederentdeckung, die nicht verdient, vergessen zu werden. Stilistisch hat sie mit dem späteren Martinů wenig gemeinsam, auch wenn die heitere Komponente ähnlich in seinen Symphonien erkennbar wird. Wie sie verdient es die Suite, ihren Weg durch die Welt zu gehen.
Michael Crump
(aus [t]akte 2/2013)