Bärenreiter Praha bringt mit dem a-Moll-Violinkonzert und den Slawischen Rhapsodien zwei Werke heraus, die dringend einer Neuedition bedurften.
Antonín Dvořák, Violinkonzert in a-Moll op. 53 (B 108)
Die neue Edition von Dvořáks Violinkonzert op. 53, die Iacopo Cividini, Experte für Dvořáks Instrumentalkonzerte und Mitarbeiter des Salzburger Mozarteums, vorbereitet hat, spiegelt detailliert den komplizierten Textprozess von den ersten Skizzen im Jahre 1879 bis zur letzten Revision, die in die Druckausgabe bei Simrock im Frühjahr 1883 mündete.
Die Geschichte des Konzerts ist im Grunde eine Geschichte der Verhandlungen mit dem Geiger Joseph Joachim, dessen Verdienste als Berater im Laufe der Entstehung des Werkes außer Zweifel stehen, wenngleich er selbst das Werk nie öffentlich aufführte. Cividini unterscheidet in der autographen Partitur des Konzerts insgesamt sieben unterschiedliche Kompositions- und Revisionsphasen und vier Phasen einer redaktionellen Bearbeitung des Manuskripts, die der Druckausgabe vorausgingen. Diese detaillierte Analyse deckt so die Entwicklung von Dvořáks Absicht auf und ermöglicht es, besser nachzuverfolgen, in welchem Maße sie im Erstdruck verwirklicht wurde. Neben der gedruckten Partitur finden auch die gedruckten Orchesterstimmen, der Solopart und der Klavierauszug Berücksichtigung, zu denen Dvořák – so die Vermutung Cividinis – eigenhändige Vorlagen lieferte. Diese Vorlagen durchliefen jedoch offensichtlich nicht alle Revisionsphasen, und so spiegeln die gedruckten Orchesterstimmen und der Klavierauszug nicht den endgültigen Stand des Textes wider. Der Klavierauszug, wahrscheinlich Dvořáks eigener, musste in der Edition so angepasst werden, dass er nach mehr als 130 Jahren die nicht vorgenommenen Revisionen nachvollzieht und so wieder mit der Partitur übereinstimmt.
Dvořáks eigener Fingersatz für die Sologeige wird in der Partitur und in der Solostimme abgedruckt, während Joachims weitere zahlreiche Fingersätze zu dokumentarischen Zwecken im Klavierauszug zu finden sind. Einige Stellen im Solopart, die Joachim mit Dvořáks Wissen technisch vereinfachte, bietet die Edition in beiden Varianten an, der ursprünglichen anhand des Autographs und der vereinfachten nach der Simrock-Ausgabe als Ossia-Version. Eine weitere interessante Besonderheit der neuen kritischen Edition ist die sorgfältige Unterscheidung der Artikulation und Länge der dynamischen Zeichen anhand des Autographs. Auf der Basis genauer Kenntnisse von Dvořáks Notation und der spezifischen Editionsproblematik verbessert Iacopo Cividini unser Wissen von Dvořáks Werk wesentlich.
Jonáš Hájek
Antonín Dvořák, Slawische Rhapsodien op. 45 (B 86)
Die Slawischen Rhapsodien für großes Orchester komponierte Antonín Dvořák im Jahre 1878, und wenngleich sie unter einer gemeinsamen Opusnummer notiert und anschließend herausgegeben wurden, handelt es sich um drei eigenständige Kompositionen, die in Skizzen, Partituren und vierhändigen Klavierbearbeitungen das ganze Jahr über erschienen, in dem sich der Komponist übrigens auch mit weiteren Werken von „slawischer Thematik“ befasste (Slawische Tänze op. 46, Streichquartett op. 51, „Slawisches“). Die drei Rhapsodien D-Dur, g-Moll und As-Dur stellen in ihrer folkloreartigen Nuancierung eine Art Orchesterpendant zu den Mährischen Duetten op. 20, 29, 32 und 38 dar, an deren Erfolg Dvořák anzuknüpfen versuchte, wozu er auch vom Verleger Fritz Simrock ermahnt wurde.
Die ersten beiden Slawischen Rhapsodien dirigierte Dvořák bei der Uraufführung im Herbst 1878 selbst, und zwar bei seinem ersten eigenständigen Konzert, mit dem er sich dem Prager Publikum als Komponist und Dirigent vorstellte; zahlreiche weitere Aufführungen folgten. In den allermeisten Fällen wurden die Stücke einzeln aufgeführt, also nicht als Zyklus. Obwohl zu Dvořáks Lebzeiten die Slawischen Rhapsodien zu seinen am häufigsten aufgeführten Werken zählten, die darüber hinaus in einem hohen Maße zu seinen ersten Erfolgen im Ausland beitrugen, sind sie derzeit in den Konzertsälen eher selten zu hören.
Das Werk erschien erstmals im Jahre 1879 im Verlag Simrock in Berlin, die einzige weitere Edition ist die Ausgabe im Rahmen der Kritischen Gesamtausgabe des Werkes von Antonín Dvořák im Jahre 1959, die nicht mehr in all ihren Parametern den modernen Anforderungen entspricht. Die neue Edition des amerikanischen Musikwissenschaftlers Robert Simon geht vom Erstdruck aus, den er mit dem Autograph konfrontiert und trägt damit zu einer komplexen Sicht auf den Komponisten bei, dessen „slawische“ Periode nicht nur über die notorisch bekannten Slawischen Tänze wahrgenommen werden kann.
Eva Velická
aus [t]akte 1/2017