Drei Fragen an Manfred Trojahn
1. Die „Dentelles de Montmirail“ sind eine Berggruppe in der Nähe des Mont Ventoux, die René Char im drittletzten Gedicht seines Zyklus „Quitter“ thematisiert. Von acht Gedichten sind vier bereits komponiert und uraufgeführt. Nun folgt mit diesem Gedicht der umfangreichste Teil – sowohl was die Besetzung als auch die Dauer angeht. Handelt es sich um den Höhepunkt Ihres Zyklus „Quitter“?
Trojahn: Ich bin mit Zuordnungen wie „Höhepunkt“ sehr vorsichtig, man verbindet das sehr leicht mit einem speziellen Ausdruck in der Musik, der dann erwartet wird. Les dentelles de Montmirail ist ein umfangreicher Text, der in seinen zahlreichen Teilen keinem fokussiertem Thema folgt, wie das in den anderen Teilen des Gedichtzyklus Quitter angelegt ist. Ich denke, dass Char Gedanken fixiert hat, wie sie in jemandem entstehen, der ohne gedankliches Ziel in einer bestimmten Situation des Gehens immer wieder neue Eindrücke verarbeitet, und der, ohne eine Form zu planen, seine Gedankensplitter wie ein Journal notiert.
Die Vielfalt der Bilder, die dadurch entstehen, mag man mit der außerordentlichen landschaftlichen Vielfalt und Gegensätzlichkeit der Dentelles de Montmirail in Beziehung setzen. Und ich versuche, dem musikalisch etwas an die Seite zu stellen, das vielleicht eine Entsprechung ist, vielleicht aber auch eine musikalische Ordnung in den Zufall der Worte und Gedanken zu bringen versucht. Um dieser musikalischen Ordnung willen stelle ich zuweilen Sätze um und forme so eine eigene, musikalisch bestimmte Dramaturgie.
2. Angesichts der Ewigkeit und Monumentalität, reflektiert René Char das Dichten als ein existenzielles Tun. Ist das auch ein Thema Ihres Komponierens?
Das Harte, auch das Monumentale, das ein Zeichen der Landschaft ist, auf die Char sich bezieht und in die ich ihm folge, steht immer im Gegensatz zur äußersten Zartheit von Stimmungen und Reflexionen. Musikalische Dramaturgie baut man auch aus diesen Gegensätzen und von daher berühren sich die künstlerischen Ansätze. Natürlich ist das Komponieren, dem man sich in Ausschließlichkeit widmet, durchaus ohne an seine Relevanz zu denken, existenziell, wie das Dichten.
3. Wie schlägt sich das in Ihrer Komposition der „Dentelles“ nieder?
Komponieren muss immer der persönlichsten Entscheidung folgen, der individuellen Notwendigkeit. Daraus folgt nicht immer nur existenziell Tiefes. Auch Leichtes, Schönheitstrunkenes kann absolut notwendig sein. Das Schwerste ist immer, Musik konkret zu beschreiben, wie es eine Antwort auf Ihre Frage ja versuchen müsste. Musik enthält natürlich Gedanken, wie sie sich auch in poetischer Sprache finden. Aber so wie poetische Sprache sich eben von derjenigen unterscheidet, mit der wir unsere alltägliche Kommunikation durchführen – sie ist viel weniger konkret auf Sachverhalte bezogen –, unterscheidet sich Musik von poetischer Sprache. Es sind noch einmal ein paar Umdrehungen mehr in Richtung einer abstrakten Konkretion – sie ist nicht festzumachen in ihrer Bedeutung und vornehmlich um ihrer Schönheit willen erfunden, mit der auch das Schrecklichste ausgedrückt werden kann … Die Kombination von beidem, wie sie in diesem Stück angestrebt wird, ergibt poetische „Denk-Räume“ – das ist wenigstens das Ziel: Räume, in denen man sich verlieren könnte …
Die Fragen stellte Marie Luise Maintz.
(aus [t]akte 1/2017)