Zu Mendelssohns Oratorium Elias, das bald nach der Uraufführung als das wichtigste seiner Zeit galt, gibt es Quellen im Überfluss. Die Neuedition bei Bärenreiter bringt Licht ins Dunkel.
Mitte der 1830er-Jahre begann Mendelssohn mit dem Entwurf des Oratoriums Elias, kurz nach dem Erfolg seines Vorgängers Paulus. Schon 1837 arbeitete er mit seinem Freund Karl Klingemann an einer szenischen Umsetzung. In den darauf folgenden Jahren befasste er sich jedoch zunächst mit anderen bedeutenden Werken. Erst die Einladung aus Birmingham, 1846 beim dortigen Musik-Festival eine größere Komposition vorzustellen, gab den Anstoß zur Vollendung seines Meisterwerkes. Er verbrachte die meiste Zeit seiner beiden letzten Lebensjahre mit der Komposition und Revision des Elias, noch kurz vor seinem Tod nahm er selbst die Durchsicht der zur Publikation vorgesehenen Fassung vor. Die vollständige Partitur wurde im Oktober 1847 veröffentlicht, der Komponist starb am 4. November.
Mendelssohn vervollständigte die Partitur für die erste Aufführung gerade noch rechtzeitig, um die Stimmen für den Beginn der Proben kopieren zu können. Wie üblich bei Mendelssohn, sah er die erste Aufführung als ein Stadium in der Entwicklung auf dem Weg zu ihrer endgültigen Form an. Im April 1847 erlebte eine überarbeitete Fassung mehrere Aufführungen in London, Manchester und erneut in Birmingham. Umgehend galt Elias als das wichtigste Oratorium des Jahrhunderts, zumindest in England.
Aufgrund der zahlreichen Revisionen und vor allem, weil zahlreiche Bereitstellungen der Partituren und Teile auf dem Postweg erfolgten, gibt es zu Elias Quellen im Überfluss. Die zuerst veröffentlichte Ausgabe stellt die authentischste Fassung dar. Dazu kommen eine große Zahl von Skizzen und Entwürfen, die Partitur des Kopisten für Birmingham, die gesamte autographe Partitur, weiteres autographes Material, zahlreiche Zusammenstellungen von Korrekturbögen des Druckers sowie die umfangreiche Korrespondenz – all dies bereichert unser Verständnis dieser Musik.
Jüngere Ausgaben des Elias beruhen wohl auf der Ausgabe von Julius Rietz, der die Partitur für die alte, in den 1870er-Jahren veröffentlichte Breitkopf & Härtel-Ausgabe der Gesammelten Werke vorbereitete. Die bei Bärenreiter erschienene und von mir vorbereitete Ausgabe folgt unter genauer Berücksichtigung aller weiteren verfügbaren Quellen der vom Komponisten autorisierten ersten Ausgabe. Die Einführung fasst die Geschichte des Werks zusammen und eröffnet neue Einblicke in seinen Aufbau. Im Kritischen Bericht werden das Quellenmaterial und, wo angebracht, wichtige alternative Lesarten aufgezeigt.
Das Libretto entwickelte sich erst im Zuge jahrelanger Anstrengungen. Mendelssohn hatte sich entschlossen, so viel Text wie möglich direkt aus der Bibel zu übernehmen. Der Großteil stammt natürlich aus dem 1. Buch der Könige 17–19 und 21 und dem 2. Buch der Könige 1–2, das vom Leben des Propheten erzählt. Weitere Texte stammen aus anderen Abschnitten, zu denen beispiels-weise die Psalmen gehören, die für einige der Chöre zum Lob Gottes ausgewählt wurden.
Mendelssohns Konzept des Elias teilt die Geschichte in zwei Abschnitte, die beide mit einem großen Chor abschließen. Der erste Teil konzentriert sich auf die Dürre in Israel und drei damit verbundene Handlungen, von denen jede zu einer unglaublichen Steigerung führt. Im zweiten Teil bereiten drei weitere Episoden die Haupthandlung vor, die Gefahr, die Elias’ Leben durch die Drohung Königin Isebels ausgesetzt ist, die durch das Gottvertrauen des Propheten geminderte Angst sowie sein Aufsteigen in den Himmel in einem feurigen Wagen.
Der musikalisch-dramatische Aufbau bezieht sowohl strukturelle motivische Reminiszenzen als auch die symbolische Verwendung von Tonarten mit ein. Die wichtigen Motive erscheinen bereits in seinem Fluch, die Dürre nach Israel zu bringen, bevor die Ouvertüre beginnt.
Einen harmonischen Plan für das Werk hielt Mendelssohn bereits in einer frühen Skizze des ersten Teils fest, der offensichtlich aus dem Winter 1845/46 stammt. Er umfasst die Tonarten beinahe aller wichtigen Nummern. Der Entwurf entspricht mit einer Ausnahme der Schlussfassung.
Zusätzlich zur verbindlichen Partitur werden in der Ausgabe Faksimiles dargeboten, die einige Seiten der Originalquellen zeigen. Darunter befindet sich ein bislang unbekannter Satz mit Korrekturabzügen des Druckers, die Korrekturen Mendelssohns enthalten. Darüber hinaus finden sich im Anhang Transkriptionen verschiedener Sätze der für die Birmingham-Aufführung angefertigten Partitur des Kopisten; Sätze, die keine Aufnahme in die endgültige Fassung des Oratoriums fanden. Einige von ihnen wurden komplett ausgetauscht, andere stellen frühe Formen dar, die später umfassend revidiert wurden. Auch wenn sie nicht zum vollendeten Werk zählen, so bieten sie doch neue Einblicke in den kompositorischen Prozess und demonstrieren die kritische Beurteilung des eigenen Werks durch Mendelssohn.
Douglass Seaton
(Übersetzung: Jutta Weis)
aus: [t]akte 2/2009
Oratorium – Die Neuausgabe von Mendelssohns „Elias”
Felix Mendelssohn Bartholdy
Elias. Oratorium nach Worten des Alten Testaments op. 70.
Hrsg. von Douglass Seaton.
Bärenreiter-Verlag 2009. Partitur, Klavierauszug und Aufführungsmaterial käuflich
Erscheint im Dezember 2009