Don Quijote, Peter Pan, eine römische Märtyrerin und eine amerikanische Prostituierte sind nur einige der Figuren, die in den Werken der italienischen Komponistin Roberta Vacca auftauchen. Vielfältig sind ihre Stoffe und ihre musikalischen Mittel.
Roberta Vacca (* 1967) studierte Komposition zunächst bei Matteo D’Amico und Mauro Cardi in L’Aquila. Ein Aufbaustudium bei Azio Corghi in Rom schloss sich an. Die ästhetische Übereinstimmung, die sie mit so unterschiedlichen Komponisten wie Kaija Saariaho und Ivan Fedele entdeckte, trug zu einer Weiterentwicklung ihres kompositorischen Handwerks bei, ohne dass ihr spielerischer Ansatz beim Komponieren davon beeinträchtigt wurde. Ihre Kreativität entzündet sich häufig an lebendigen Klangvorstellungen, literarischen Anregungen und surrealen Wortspielen, so dass ihre Musik stark von fantastischen und theatralischen Komponenten geprägt ist. Der Umgang mit Texten, der Einsatz der gesprochenen oder gesungenen Stimme gehört zu den wichtigsten Triebfedern ihrer Arbeit.
So verwendete sie Lewis Carrolls Text Through the Looking-Glass (Alice hinter den Spiegeln) für ihre Komposition Days of light (2000) für Sopran, Streichtrio und Klavier und übertrug dabei die sprachlichen Assonanzen des Vokalparts auf die Musik.
Die Texte der Nonne Suor Maria Crocifissa, die sich durch die plastische Kraft ihrer Bilder auszeichnen, dienten als Basis für den Melolog Relazioni (1999) für zwei Schauspielerinnen und Klavier.
Die Memoiren von Nell Kimball, einer amerikanischen Prostituierten des 19. Jahrhunderts, bildeten das narrative Material sowohl für Intimorosamente (2001) für Schauspielerin, Altsaxophon, Violine, Violoncello und Perkussion als auch für die „elektronische“ Oper American Dreams (2007), in der die rohen, mitleiderregenden Beschreibungen Kimballs mit Gedichten von Emily Dickinson verflochten sind.
Persönliche Aufzeichnungen der Komponistin über den tragischen Anschlag auf die Zwillingstürme des World Trade Center wurden zur Grundlage von Uno (2001) für Sopran und Streichorchester.
Eine weitere dramatische Geschichte einer Frau, der römischen Märtyrerin Santa Cecilia, inspirierte Eya (2002), ein umfangreiches Fresco für gemischten Chor und Orchester. Die Vorstellung unterdrückter Vitalität wird hier mit verschiedenen musikalischen Mitteln umgesetzt: Der Text wird fragmentiert, die Stimmen flüstern Silben, Wörter sind auf ihre Phoneme und deren spielerische Rhythmik (rrrd, n-n-n, t-t-t) reduziert, auf Emissionen von Atemluft, auf erstickte Schreie.
Von einer ebenso starken Imaginationskraft sind auch Vaccas Instrumentalkompositionen geprägt, in denen sie sich häufig auf musikalische Traditionen bezieht. Vor allem in ihren Klavierwerken neigt sie dazu, musikalische Strukturen als geometrische Formen zu organisieren. Dabei erkundet sie die Möglichkeiten des Instruments in seiner Gesamtheit und schließt dabei auch die Besaitung und den Korpus ein.
In der Komposition De-Sequentia (1999) über die Ostersequenz „Victimae paschali laudes” geht sie spielerisch mit der Überkreuzung der Hände und den Resonanzen der Obertöne auf den Saiten um. In Nomen (2003) beschäftigt sie sich mit den Intervallen der Septime, die sich aus der Zelle B-A-C-H gewinnen lassen, und arbeitet mit einer komplexen Verflechtung rhythmischer und melodischer Patterns, so dass ein außergewöhnlicher Klaviersatz entsteht. Sus-Round (2007) greift einige Harmonien aus einer Klavieretüde Ligetis auf. Mit Corda barocca (2004) versucht sie, den Klang des Klaviers in den Klang einer Sitar zu transformieren. Dafür verwendet sie eine kleine Metallkette, die sie auf den Saiten platziert. Begleitet wird dies von einem Ostinato gestimmter Trommeln, deren Klang sie durch die Präparation einiger tiefer Saiten mit Radiergummis nachbildet.
Wichtige kammermusikalische Werke sind Baby Blues (2002) für Klarinette, Perkussion und Klavier, Sextans Uraniae für Flöte, Perkussion und Elektronik sowie …Insistevi leggera… für Ensemble.
Zu den bedeutenden Orchesterwerken gehören Le stanze della Luna (2002), Il canto muto und Trave Barocca, dessen Titel ein Anagramm des Namens der Komponistin ist.
Roberta Vacca konzentriert sich in ihrer Arbeit besonders auf Musiktheaterwerke für Kinder. Mit der Absicht, Kinder auf spielerische Weise an klassische Musik heranzuführen, gründete sie 1995 gemeinsam mit Paola Campanini die Theatergruppe Burattinmusica, die mit Formen des musikalischen Puppentheaters für Kinder experimentiert und z. B. eine Bearbeitung von Strawinskys Petruschka auf die Bühne brachte.
Die Kinderoper C’era una volta … la principessa dispettosa entstand als Gemeinschaftswerk mehrerer Komponisten und wurde im Jahr 2000 bei einer von der Accademia Nazionale S. Cecilia organisierten Konzertreihe für Kinder uraufgeführt. Ebenfalls in diesem Rahmen kam 2003 Il Quaderno Di Musica Di Maddalena zur Aufführung, eine Oper, die in der Welt der Zwerge spielt und in deren Partitur auch Musik von J. S. Bach eingearbeitet ist.
Im Jahr 2004 komponierte Roberta Vacca gemeinsam mit Mauro Cardi Trash, eine „musicalopera”, die zahlreiche Stilepochen von der Gregorianik bis zum Rock durchquert. Sie erzählt die Geschichte von drei Straßenkehrern, die mit Müll spielen und sich Instrumente aus Tetra-Paks, Plastikschläuchen und Blechdosen bauen.
Im Jahr 2000 gewann Roberta Vacca den Premio Cemat mit der Projektidee für ihre Oper Gattomachia (2001), frei nach Lope de Vega. Im Zentrum der Erzählung, die sich auf das berühmte Katzenduett (Duetto buffo di due gatti) von Rossini bezieht, stehen die Liebesangelegenheiten zweier Katzen. Hier werden die Kinder direkt in die Aufführung einbezogen, als Perkussionsinstrumente dienen Küchengeräte.
Zu Vaccas neueren Kinderopern gehören Avventure Di Don Chisciotte, Ah! Alice und Peter Pan, an der auch ein Rap-Musiker beteiligt ist. Besonders erfolgreich war die heitere Komödie Chi rapì la topina Costanza?, eine Oper nach Mozarts Entführung aus dem Serail, deren Figuren jedoch in Mäuse verwandelt sind.
Gianluigi Mattietti
(Übersetzung: Christine Anderson)
(aus takte 1/2008)
Ostersequenz und Kindermusiktheater. Die italienische Komponistin Roberta Vacca
Information: Die Kompositionen Roberta Vaccas erscheinen bei RAI Trade, Vertrieb in Deutschland und der Schweiz: Alkor-Edition, in Osteuropa: Editio Bärenreiter Praha.