Der deutsche Komponist Torsten Rasch eignet sich vorhandenes Material auf eine überaus eigene Weise an und schafft damit Werke von hoher Originalität.
Die einzigartige, expressive Machart von Torsten Raschs Musik scheint durch eine gleichermaßen einzigartige doppelte Vertreibung bestimmt gewesen zu sein. Rasch wurde 1965 in Dresden geboren, war Sängerknabe im Dresdner Kreuzchor und studierte Komposition und Klavier an der dortigen Hochschule für Musik. Nur ein Jahr nach der Wiedervereinigung verließ er Deutschland („Mein Land existiert nicht mehr“, sagte er 2010 in einem Interview). Noch in seinen Zwanzigern ging er nach Japan und baute sich eine frühe Karriere als Komponist von Fernseh- und Filmmusiken auf, geografisch und ästhetisch vom Westen abgewandt. Bis heute hat er mehr als 40 solcher Kompositionen verfasst.
Der durch diese Trennung verursachte Duck entlud sich 2003, als sein gewaltiger Liederzyklus für Orchester Mein Herz brennt, den er ein Jahr zuvor im Auftrag der neu gegründeten Dresdner Sinfoniker geschrieben hatte, die deutsche Klassikszene mit Aufführungen in Dresden und Berlin und einer mit Auszeichnung bedachten Aufnahme der Deutsche Grammophon eroberte. Wenn die Jahre des geduldigen Erfolges hinter der Leinwand implizieren, dass Rasch seine Professionalität erlangt hatte, noch bevor er für einen klassischen Komponisten ungewöhnlich viel Anerkennung bekam, so erklärt sich diese Anerkennung vielleicht auch aus einigen der Qualitäten, die am eindrucksvollsten waren, als sein Werk begann sein Publikum einzufordern: seine flüssige Sprache, seine Sicherheit im großen Entwurf (viele seiner Werke haben eine Dauer von mehr als einer halben Stunde) und seine unvergleichliche Fähigkeit, eine lebhafte, persönliche Klangwelt zu erschaffen, die den Geist anderer in sich aufnimmt.
Die anderen Klangfacetten, die in Mein Herz brennt aufscheinen, sind zahlreich und überaus verschieden. Die Texte stammen von der deutschen Metal-Band Rammstein, die Rasch in eine spätromantische Orchestersprache von kraftvoller Expressivität einbettet. Anklänge an Mahler, Strauss und andere geben dieser Sprache ihre stilistischen Referenzen und verbinden sich mit der makabren Erzählweise der deutschen Schauspielerin Katharina Thalbach zu einer neuen Form, die sowohl erschreckend als auch überraschend originell ist. Zusammenarbeit – ein vertrautes Konzept für jeden Filmkomponisten – ist immer noch der zentrale Impuls, doch die Mitarbeiter sind heute abwesend oder lange tot, und Rasch ist der Zeremonienmeister, der sie wieder zum Leben erweckt.
Die üblicheren Formen der Zusammenarbeit blieben ebenfalls als roter Faden in seinen Werken erhalten: Er assistierte den Pet Shop Boys bei ihrem Soundtrack zu Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, der 2006 live auf dem Trafalgar Square ausgestrahlt wurde, und arbeitete erneut mit Thalbach an der Adaption eines Schauspiels ihres verstorbenen Partners, des ostdeutschen regimekritischen Schriftstellers Thomas Brasch. Dabei entstand 2007 Raschs erste Oper Rotter, die 2008 in Köln uraufgeführt wurde.
Ein zweites Opernvorhaben wurde von der English National Opera in Auftrag gegeben und feierte im Juli 2010 in den dunklen Räumen eines großen leerstehenden Bürogebäudes in den Londoner Docklands Premiere. Hierbei arbeitete Rasch mit der Theatergruppe Punchdrunk zusammen, um die Welt der Oper und die des radikalen Theaters in einer Adaption von John Websters The Duchess of Malfi zu vereinen.
In der Zwischenzeit begnügen sich zwei Kammermusikwerke mit den gewöhnlichen Gattungsbezeichnungen Piano Trio und String Quartet No. 1, sie evozieren die Vergangenheit auf einem anderen, weniger theatralischen Weg. Doch sogar auf dem Gebiet der Kammermusik wird das Eindringen von anderen Stimmen, gespenstischen Echos fortgesetzt: Die träumenden Knaben, das im Herbst 2009 uraufgeführt wurde, verwendet einen Text von Oskar Kokoschka in Form eines Melodrams für Sprecher mit der Instrumentalbegleitung von Schönbergs Pierrot Lunaire, während gleichzeitig formale Züge der Barocksuite aufgegriffen werden. Raschs charakteristischer Dialog der Vergangenheit mit der Gegenwart, des Selbst mit dem Anderen, schafft wiederum etwas Neues auf einer Reise durch mehrere Abschnitte der Geschichte und zeigt gleichzeitig die Vergangenheit in einem anderen Licht, indem er ihren Geistern mit einem starken Selbstvertrauen entgegentritt.
John Fallas
(Übersetzung: Maja Kamprath)
aus [t]akte 2/2010